Tapferes Schneiderlein

Es begab sich im Jahre des Herrn oder der Frau Anno 2008 am Hofe der Kaiserin von Deutschland, dass Abgesandte aus dem fernen Hessen den Muselmanenmarkt am Ufer der Spree besuchten. Dort sichteten sie wohlfeilen Tand und seidige Stoffe, die nach langem Feilschen in ihren Besitz übergingen. Das Linnen war von solch zauberhafter Art und darüber hinaus pechschwarz, dass der neue Besitzer darob nachdachte, daraus ein trefflich Gewand für sich zu schneidern, auf dass die holde Liebschaft seinen Astralleib mehr ahnen denn schauen könne und solcher Art neugierig würde, um nachzuforschen, was der geheimnisvolle Stoff wohl verbergen möge. Allein, es fehlte ein Schneider. Nach jahrelanger Suche erbarmte sich des Hessen liebstes Weib und erstand eine Nähmaschine. Nun stand diese Höllenmaschine Tag für Tag auf einem Regal und der Hesse schlich mit begehrlichen Blicken all die Zeit um sie herum, ohne rechte Traute.

An einem frühen Wintersonntag ergriff die Liebste die Regie und befahl ihrem Gattenanwärter, all seinen Mut zusammen zunehmen und gefälligst seine geheimen Wünsche in die Hand zu nehmen. Nach anfänglichem Missverständnis, was damit gemeint sei und einer längeren Suche nach dem verschollenen Stoff aber packte der mutige Mann die Maschine aus. Gemeinsam mit seiner Liebsten und tausend gotteslästerlichsten Flüchen ob der Betriebsanleitung machten sich die beiden Liebenden daran, die Geheimnisse der Schneiderei zu erkunden. Ein weiteres Winterwochende ging ins Land.

Der Stoff wehrte sich. Musste der tapfere Schneider sich auch unbedingt für die Ersten Versuche einen Crinkle-Stoff aussuchen? Und musste es gleich eine Tunika sein, bodenlang? Mit schwarzem Garn auf schwarzem Stoff? Hätte es nicht ein hübscher, weißer Tschurifetzen mit roten Nähten sein können? So mühte sich das Schneiderlein redlich. Verfluchte nach Kräften die Maschine, das Garn, den Stoff, den Tag. Die Liebste stand ihm bei, wischte die Stirn, ermahnte ihn zu mehr Contenance, lobte sein Durchhaltevermögen, reichte ihm süße Spekulatius und heissen Türkentrank, stärkte ihn mit gebratenen Schweinshaxen in Biersoße. Diese leckere Speise muss den entscheidenden Zauber inne gehabt haben: Endlich war es vollbracht. Der stolze Hesse stand in ganzer Pracht vor ihr. Ein tapferes Schneiderlein mit dem Habitus eines großen Stammesfürsten. Ein ganz neuer Mensch ward geboren. Der kleine Hund schnupperte erst mal misstrauisch. Nun können die Ceundahs, die Haundemms, all die BigMan Modehäuser schließen. Ich brauche sie nicht mehr! Selbst ist der Mann. Als nächstes kommt das Brautkleid der Liebsten dran …

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