Von heißen Katzen und hungrigen Mägen

IMG_9684Wir lieben Musicals. Fast so sehr wie uns. Viele haben wir schon gemeinsam erleben können. Es gibt aber auch einige, die nicht jeder von uns gesehen hat. Das sind dann natürlich jene, die schon lange nicht mehr gespielt werden. Und so schauen wir uns in der Provinz um, ob dort nicht mal ab und zu sich ein Ensemble an ein Musical wagt. Cats ist der Klassiker der Musicals. Das wundervolle Stück von Andrew Lloyd Webber bereitete vor mehr als 20 Jahren den großen Musical-Hype in Deutschland vor. Damals war das noch nicht so mein Ding, deshalb verpasste ich dieses quirlige Spektakel. Nun entdeckte die Liebste, dass das Stadttheater Koblenz das Musical im Sommer auf der Festung Ehrenbreitstein openair aufführen würde. Sie war eine der Ersten an der Vorkasse und ergatterte zwei super Plätze zur Premiere in der 6. Reihe. Die Vorfreude war umso größer, als wir wussten, dass man mit einer Seilbahn vom Deutschen Eck aus über den Rhein auf die Festung fahren würde. Das musste ein grandioses Ereignis werden! Schnell noch ein Hotel gebucht und leckere Restaurants ausgesucht, die nach der Vorstellung noch geöffnet hätten. Jetzt war alles perfekt vorbereitet für ein perfektes Wochenende zu zweit (den kleinen Spanier hatten wir in einem Hundehotel untergebracht).

Was wir nicht im Griff hatten, war das Wetter. Wir haben so unsere Erfahrungen mit Openair. Meist ziemlich nasse. Aber es sah gut aus, je näher der Termin rückte. Zu gut. Hochsommer mit brutalen Temperaturen waren angesagt. Es sollte der heißeste Tag in Deutschland werden, der je aufgezeichnet wurde. Kein Problem, solange man im klimatisierten Auto gen Koblenz fährt. Am Mittag waren wir losgefahren, ohne Frühstück, nur mit einen Würstchen im Schlafrock von der Tanke im Bauch. Groß essen wollten wir im Kühlen nach der Vorstellung. Das Hotel Hommen, eine kleines, schnuckeliges 3-Sterne Hotel (vorbildlich: USB-Steckdosen an jeder Bettseite!!!), bot uns ein großzügiges Zimmer im Souterrain an, herrlich kühl im Vergleich zu allen anderen. Heiß wurde es der Liebsten allerdings ganz schnell wieder, als sie merkte, dass sie ihre Oberbekleidung (zum Wechseln und für die Premiere) die sie, auf einen Bügel gehängt, mitnehmen wollte, zuhause vergessen hatte.

Theoretisch hätte die Zeit gereicht, noch mal zurück zu fahren und die Klamotten zu holen. Ich bin ein liebender, geduldiger Mensch, der nichts aus der Fassung bringt. AUSSER SOLCHEN MOMENTEN! Aber ich liebe diese Frau und ich wäre gefahren, gestartet waren wir schon. Aber dann hätte nichts mehr passieren dürfen, kein Stau, keine Panne, nix! Und es wäre super stressig gewesen. Also haben wir’s dann doch gelassen. Und ebenso gelassen die Dinge genommen, wie sie sind. Darin sind wir zwei Verliebten ja geübt.

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Festung Ehrenbreitstein

Die Zeit haben wir uns an der Promenade mit literweise eiskalter Cola und einem miesen, überteuerten Stück Kuchen vertrieben. Dann frisch gemacht und zur Seilbahn gefahren. In gewohnter Weise haben wir dort direkt davor einen Parkplatz bekommen. Die Freude darüber sollte sich allerdings später trüben. Sanft schaukelten wir über Väterchen Rhein hinweg zur Festung herauf. Mit grandiosem Blick auf das Deutsche Eck, wo die Mosel sich mit dem Rhein einlässt. Mir war schon klar, dass die Festung ein großes Gelände ist. Dass es allerdings so weitläufig ist, hätte ich nicht gedacht. Es kommt einem auch weitläufiger vor bei 39 Grad im Schatten. Und Schatten gibt es nicht. Mir klebte binnen Minuten jeder Faden am Leib. Kurze Abkühlung boten nur die unterirdischen Gänge, wo es einigermaßen erträglich war. Nur sieht man dort nix außer Mauerwerk. Auf dem großen Exerzierplatz mit Blick über den Rhein ging dann ein kühles Lüftchen. Ohne das und ein eiskaltes Radler wäre ich buchstäblich weggeflossen.

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Blick von der Festung auf das Deutsche Eck

 

Und dann fühlte ich einen Tropfen auf der Stirn. Ein Vogel? Der Blick zum Himmel ließ mich wünschen, es wäre nur ein Vogel gewesen. Dicke dunkle Wolken zogen auf. Und passend dazu klingelte mein Handy: akute Unwetterwarnung! Oh nein! Wie ging das noch in Woodstock? „No rain, no rain, no rain!“ Wir dachten es uns ganz heftig. Möglicherweise hat es sogargewirkt. Es blieb bei einem kurzen Schauer.

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Gleich kracht es!

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Der Regen hätte uns auch gar nichts ausgemacht. Waren doch die ersten Reihen inkl. der Bühne noch überdacht. Die Bühne war als renovierungsbedürftiger Theatersaal gestaltet, im Gegensatz zum Original-Plot, der auf einer Müllhalde spielt. Keine schlechte Idee, denn diese Ausstattung bot genug Möglichkeiten für die wuselige Katzen-Choreografie. Und die hatte es in sich! Die Akteure hatten die Katzenmimiken und die Bewegungen perfekt einstudiert. Die kreativen Kostüme und die geniale Maske taten ein Weiteres, um das Spiel noch farbenfroher als das Original darzubieten. Ja, diese Kostüme! Nicht nur wunderschön, auch ziemlich aufwändig und mitunter ziemlich dick. Was müssen die Akteure geschwitzt haben! Wir hatten es da schon besser, gekühlt durch ein paar superhässliche Papierfächer wurde uns nur vom Zusehen heiß. Toll auch die Akustik. Ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet in den hallenden Gängen der Festung. Jedes Wort war klar zu verstehen und nichts war übersteuert. Schade nur, dass das Orchester erst zum Schlussapplaus zu sehen war. Der fiel im Übrigen genauso grandios aus wie die Aufführung. Nicht enden wollende Standing Ovations. Und natürlich Zugaben.

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Glücklich bedacht

Glücklich, erschöpft, verschwitzt und HUNGRIG fuhren wir mit der Seilbahn wieder in’s Städtchen hinab. Rein in’s Auto, Klima an und erst mal ein Restaurant in der Altstadt ausgesucht und in die Navi eingegeben. Raus aus der engen Parklücke und schon war’s passiert: touchè! Ich habs erst gar nicht gemerkt. Passanten machten uns aufmerksam: Ich hatte einem BMW den Kotflügel etwas umgestaltet. Also erst mal Polizei gerufen. Die Passanten beobachteten uns argwöhnisch aus ihrem Auto heraus, ob wir denn auch tatsächlich nicht abhauen würden. Die Polizisten waren dann recht nett, nahmen das alles auf, verwarnten mich mündlich unter Verzicht auf ein Bußgeld, weil ich so brav war und mich gemeldet hatte. Dabei wollte ich ja nur nicht wegen Fahrerflucht im Knast landen. Ohne die Liebste.

Nun war es doch ziemlich spät geworden. Also auf in die Altstadt. In Koblenz ist das auch so eine Art Bermudadreieck. Und rund herum nur Anwohnerparken. Alle Parkhäuser geschlossen oder besetzt. Viermal sind wir drum herum gekurvt und haben dann beschlossen, einen McD anzufahren. Als dann auch der zweite ohne Parkplatz war, sind wir frustriert auf die Autobahn und dort zu einem McD gefahren. Die Burger waren soooo beschissen, ich schwöre: Nie wieder!

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Schattiges Plätzchen, sonnige Liebste

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Vielversprechend …

Nach einer heißen Nacht sind wir ohne Frühstück los, um in einem netten Szene-Café in Koblenz zu brunchen. Doch das gleiche Spiel wie am Vorabend: Alle Parkplätze besetzt. Hungrig sind wir dann am Rhein entlang gefahren, in der Hoffnung, was Ansprechendes zu finden, um unseren Hunger zu stillen. Vergeblich: Überall Touri-Kacke. Und keine Parkplätze! Dann, gegen Mittag, in Boppard endlich ein leerer Parkplatz mit zwei leeren Plätzen unter einem Sonnenschirm direkt am Rhein! Zack, geentert! Nur zu Essen gab es (noch) nichts. Die Küche machte erst eine Stunde später auf. Den genialen Platz wollten wir aber auf keinen Fall aufgeben und so flirteten wir bei Cola und alkfreiem Radler, bis die Speisekarte kam. Die las sich recht ansprechend. Wir wählten beide ein Winzer-Kotelett mit Lauchrahm und Pommes. Ich hatte einen solchen Hunger, dass ich alles widerspruchslos in mich reinschaufelte. Das schreckliche Kotelett, leider aufgebacken mit pampiger Pannade und mit matschigen Röstzwiebeln verziert liegt mir heute noch im Magen.

Alles in allem also ein sehr zwiespältiges Wochenende: Einerseits mal wieder ein toller kultureller Genuss mit der Allerliebsten von allen. Und andererseits das Gefühl, kulinarisch komplett underfucked zu sein!

Never too old to rockn’roll!

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Ich weiß nicht, wann ich das erste Mal Jethro Tull live erleben durfte. 1967 wurde sie gegründet. Ich habe sie von Anfang an gemocht, so wild wie ihr Leader Ian Anderson mit seiner Querflöte rumfuchtelte und wie der Beelzebub selber aussah. Gefühlt sind es dreissig Jahre und mehr her, dass ich sie live das erste mal sah. Wie auch immer: seit dem bin ich absoluter Fan. Wann immer diese Band hier auftauchte, war ich dabei. Mindestens einmal im Jahr ist Tull-Time. Und meine Liebste muss mit. Denn ohne sie ist das Vergnügen nur halb so schön. Dabei ist das gar nicht so ihr Musikstil.

Nun ist die Band von Ian Anderson schon oft umgebaut worden. Viele Musiker gingen und kamen und jedes Mal wurden die Grabgesänge lauter. Ewig würde es die Band nicht geben. Die Formation der letzten Jahre ab 1987 mit Martin Barre an der Leadgitarre und Doane Perry am Schlagzeug war mir am liebsten. Eines der furiosesten Konzertedurften wir 2008 in Bad Brückenau erleben. Seit dem hat sich viel getan. Der Zahn der Zeit hat an Ian und uns genagt. Jethro Tull wurde aufgelöst und Ian versucht sich solo. So auch am 19. Mai in der Frankfurter Alten Oper.

Vorgruppe

Es fing schon mal gut an: Als das Publikum noch Platz nahm, wurden auf der Videowand hinter der Bühne Videos von Bands gezeigt, die Ian Anderson gut findet. Unter anderem auch die Violinistin Anna Phoebe, die dann sogar später im Konzert per Videoeinspielung ein Stückchen mitspielt. Eine nette Idee und großartige Geste und nicht zuletzt ein toller Zeitvertreib für das wartende Publikum. Besser als jede Vorband oder Musik vom Band. Fast übergangslos folgen Bilder vom neuen Konzeptalbum Homo Erraticus und schon geht es los …

Dass Ians Stimme kaputt ist, wissen wir schon lange. Das schmälert aber den Genuss überhaupt nicht. Zumal er sich diesmal Unterstützung in Form des jungen Sängers Ryan O’Donnell geholt hat. Beide harmonieren super zusammen. Der erste Teil des Konzertes wird von Ians neuem Album bestimmt. Es ist der typische Sound, aber irgendwie kommt keine Stimmung auf. Der Applaus bleibt höflich. Die sinfonische Geschichte hat einfach keine eingängigen Melodien, es fehlen die Hits. Jeder Song klingt irgendwie gleich und zusammen mit Ians gequälter Stimme macht das keinen Spaß. Toll gemacht allerdings das begleitende Video. Dann bricht Ian fast schon abrupt die Präsentation des neuen Albums ab und geht zu den Hits von Jethro Tull über. Sofort ist die Stimmung da, der Applaus deutlich enthusiastischer. Genial auch hier die Videos, die z.T. alte Konzertaufnahmen von Jethro Tull zeigen. (Fast) lippensynchron spielen Ian und seine hervorragende Band dazu (toller Martin-Barre-Ersatz: Florian Opahle). Das ist witzig zu sehen und zu hören. Und mutig: Ian scheut nicht den Vergleich mit alten Zeiten. Optisch und stimmlich hat sich alles verändert. Das Feeling ist das selbe geblieben. Und Ian rockt über die Bühne, fast agiler noch als vor 45 Jahren.

Fazit: Mit 68 Jahren ist Ian jedenfalls noch nicht zu alt für Rockn Roll. Und wir sowieso nicht. Deshalb bleibt die Losung: jedes Jahr mindestens zu einem Jethro Tull Konzert. Bis wir in der Kiste liegen!

Highway to and from hell

Bei der Anfahrt haben wir noch gescherzt: We’re on the highway to hell! AC/DC – wir kommen! Auf der A6, von Frankfurt kommend, war das Ziel der Hockenheimring, auf dem an diesem Samstag, den 16. Mai 2015 eines der wenigen Deutschland Konzerte der Kultband von Downunder stattfinden sollte. 100.000 Karten waren verkauft worden, da machte es schon Sinn möglichst frühzeitig zu kommen. Einlass war um 14 Uhr, wir wollten so zwischen 2 und 3 dort sein. Es lies sich gut an. Die erste Abfahrt zum Ring war zwar schon gesperrt, aber die nächste war noch frei. Mit Stau zwar, aber immerhin ging es zügig weiter. Wir wollten bei McD noch eine Pinkelpause einlegen und verpassten so die Auffahrt zum nahgelegen Parkplatz. Bei der Fahrt vom McD-Parkplatz runter (etwas kompliziert durch ein Industriegebiet) verfranzten wir uns etwas (keinerlei Hinweisschilder auf den nächsten Parkplatz) und landeten irgendwie wieder auf der Autobahn Richtung Mannheim. Nicht weiter tragisch, da die nächste Abfahrt uns direkt zu P5 führte. Von dort ging aber kein Shuttlebus. Und da ich zurzeit einen bösen Hüftschaden habe, wollten wir uns keine lange Laufstrecke zumuten. Also kehrten wir um und fuhren wieder den ersten Parkplatz an, C9, am entgegengesetzten Ende der Stadt. Kein Problem, denn von dort fuhr ein Shuttle zum Ring. Dachten wir zumindest.

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Der knallvolle Bus mit bestens gelauntem Fahrer (er offerierte dauernd Würstchen vom Grill) kurvte durch die halbe Stadt und hielt dann mitten in einem Wohngebiet. Mit den Worten: „Da drübe is der Ring, net weit!“ wurden wir dort rausgeworfen und liefen nun der Herde nach. Verlaufen hätten wir uns nicht können, es ging nämlich an schmucken Reihenhäusern und Villen vorbei, deren Bewohner die Gunst der Stunde nutzten und Getränke verkauften. Offenbar ist dieser Weg nicht das erste Mal zum Laufsteg zum Ring geworden, denn die Verkaufsstände sahen nicht gerade improvisiert aus. Hier verdient sich so mancher einen guten Teil der Hypotheken.

Vorbei ging es am P2, der im übrigen völlig leer war. Hätte man uns hierher gelotst, wäre der Shuttle überflüssig gewesen. Dann ging es über eine Straße auf den Zufahrtsweg zum Ring, unter einer Unterführung durch. Und schon waren wir da. Dachten wir. Die bisher gelaufene Strecke (gut 3 km) war aber erst der Anfang vom Horrormarsch gewesen. Denn nun führte der Weg um die komplette Nord- und Hauptribüne herum, vorbei an Campingplätzen mit lustigen Campern, die ein Füttern-verboten-Schild an den Zaun gepinnt hatten. Das Lachen blieb uns aber im Hals stecken, denn hier an der Haupttribüne war der Marsch noch lange nicht zu Ende. Weiter ging es an den Südtribünen vorbei, bis in Höhe der Südkurve endlich der erste Einlass erreicht war. Es ist eigentlich völlig unverständlich, warum die Shuttlebusse nicht bis dorthin gefahren sind. Denn dort wäre genug Platz gewesen.

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Wer nun dachte, er könne jetzt von hier direkt aufs Gelände, wurde ziemlich enttäuscht. Weiter trabte die Horde um das Gelände herum auf die Nordseite. Beim Anfang der Innentribühnen war dann die zweite Einlasskontrolle. Hier spielten sich wahre Dramen ab. Denn es hieß, alle Flaschen oder sonstigen Proviant abliefern, auf dass der Profit der Veranstalter noch weiter gesteigert würde, denn die Verpflegungskosten drinnen waren exorbitant. Aber davon später … Auch Sitzkissen wurden konfisziert und harmlose Kameras, die eine gewisse Größe überstiegen. Da hier nicht im Vorfeld klar geregelt war, was noch als Handkamera und was als Profikamera durchgeht, wechselten auch schon kleine, teure Micro-Four-Third-Geräte unfreiwillig ihren Besitzer!

Weiter ging es an den Innentribünen vorbei, rund um das Festival-Gelände herum. Der Strom der Fans riss nicht ab. Aber durch die frühe Einlasszeit entzerrten sich die Massen. Es ging entspannt und fröhlich zu. Nicht so bei uns Lendenlahmen. Mehrfach kamen Überlegungen auf umzudrehen. Dabei erging es nicht nur uns so. Bei einem Konzert einer Band, die in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erstmals Furore gemacht hat, war es klar, dass etliche Senioren sich die Show nicht nehmen lassen würden.

Endlich dann der Eingang aufs Gelände. Um Viertel vor 3 waren wir auf dem Parkplatz angekommen. Jetzt war es kurz vor 5! Gute zwei Stunden Wandern um den Ring herum! Das Gelände war in drei Zonen aufgeteilt. Ganz vorne ein Areal, dann dahinter ein größeres und der Raum zwischen Innenraum und Tribünen, wo auch die Catering-Stände zur Abzocke bereitstanden. Es waren Armbändchen ausgegeben worden. Die im vorderen Raum Stehenden bekamen ein weißes, die im zweiten Raum ein blaues. Als wir kamen gab es keine Bändchen mehr. Mit anderen Worten: Für unsere 100 Euro Eintritt hätten wir dem Konzert an den Seiten bei den Bierbuden oder ganz weit hinten an den Tribünen lauschen dürfen! Dabei waren noch genügend Bändchen vorhanden. Diese wurden aber von den „Türstehern“ nur noch an diejenigen abgegeben, die noch kein Bändchen hatten und den Raum vor der Bühne verlassen wollten. Gottseidank gelang es unseren Kids, die schon am Vormittag angereist waren, die Security von meiner lahmen Hüfte zu überzeugen und der Charme meiner Tochter gab den Ausschlag: Wir bekamen weiße Bändchen.

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Nachdem wir uns bis ca. 30 Meter links vor die Bühne vorgearbeitet hatten, wo der Rest der Familie stand, waren wir sanatoriumsreif. Die Bühne war kaum zu sehen. Kleinere Menschen sahen gar nichts. Da blieb nur der Blick auf die Videowände. Das Publikum war gut drauf, die Stimmung allerdings mitunter fragwürdig, da links von uns fröhlich das Horst-Wessel-Lied und anderer rechter Dreck aus vollen (bitte wörtlich nehmen) Kehlen gesungen wurde. Dagegen kam Atemlos-durch-die-Nacht von rechts kaum an. Auch macht es wenig Spaß, wenn Besoffene nicht umfallen können, weil alle so gedrängt stehen. Wundersamerweise kamen durch das Gedränge immer wieder Bierverkäufer durch. Der halbe Liter für 5 Euro! Plus Pfand für den Becher natürlich. Nach den Strapazen der Anreise und bei dem Wetter hast du Durst ohne Ende. Da zahlst du jeden Preis! Aber warum muss es nur Bier sein? Man kann doch auch alkoholfrei Getränke überteuert verkaufen? Und du kalkulierst, wie viel Fassungsvermögen deine Blase hat. Denn deinen Platz willst du nicht wegen Kloganges verlieren. Ein Problem übrigens, das viele meiner Geschlechtsgenossen nicht als solches erkannten und fröhlich überall hin pissten. Mir tut das Personal leid, dass z.B. die vollgepissten Trennwände abbauen muss. Die durchaus zahlreich vorhandenen Dixie-Klos waren übrigens meist voll bis Oberkante Sitzplatz, und darüber hinaus.

Angekündigt war eine D-Jane vom Metallhammer Magazin. Nun ja, zu verstehen war eh nix, zu sehen auch wenig, lassen wir das mal so durchgehen. Dann die Vorgruppe Vintage Trouble (der Name passte wenigsten zu einem Teil des Publikums, er sprach mich irgendwie an). Mieser Sound hat vermutlich den Reiz deren Musikstils zunichte gemacht. Passte irgendwie nicht hierher. Immerhin war der Sänger eine Augenweide, der wie eine Inkarnation von James Brown über die Videowand hüpfte und begeistert umher kreischte. Ich verstehe nicht, warum man nicht regionalen Gruppen die Chance gibt, sich ein bisschen Ruhm und Kohle zu verdienen. Es gibt so tolle Bands, die auch stilistisch besser gepasst hätten. Haben die alten Säcke etwa Angst, dass man ihnen die Show stiehlt?

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Das wäre unbegründet gewesen. Denn was AC/DC da boten war einfach der Hammer. Als die ersten Videobilder von Astronauten über die Videowalls flimmern sind alle Unbillen vergessen. In einem genialen Intro entdecken Astronauten ein meteoritenähnliches Gebilde, das sich exsplosionsartig auf den Weg zur Erde macht, um endlich in einem riesigen Feuerball auf der Bühne einzuschlagen. Die bekannte Bühnendeko spuckt Feuer und Rauch, Blitze zucken und der Rocknroll-Zug setzt sich in Bewegung. Rock or bust, die erste Nummer vom neuesten Album ist der Opener. Und er fetzt rein, wie das nur AC/DC kann. Gelegentlich kann ich ein paar der Heroes auf der Bühne ausmachen. Wäre da nicht die Videowand direkt vor uns, es wäre ein Blind Concert. Aber das ist jetzt auch egal. Nach fast vierzig Jahren bin ich bei einer meiner Lieblingsbands! Der Sound ist Scheiße, fast nur durch Wortfetzen erkenne ich die Songs. Meine Hörgeräte hab ich abgestelt. Den frühen Konzerten von Deep Purple, Rory Gallagher und Ten Years After habe ich sie zu verdanken. Jetzt bräuchte ein Toter sie nicht mehr. Es ist tierisch laut. Viele tragen Ohropax. Ich nicht. Ist eh zu spät dafür. Die Show also der Hammer! Zwei Jahre älter bin ich als Angus Young. Was der da auf der Bühne losmacht, hab ich nicht als 26-jähriger geschafft! Unglaublich! Die langen Pausen zwischen den Titeln lassen aber darauf schließen, dass hier hochkonzentrierter Sauerstoff oder sonstige Mittelchen zwischendrin genommen werden. Diese Pausen trüben den Ablauf auch ein bisschen, die Spontaneität geht kaputt. Auch stört uns, dass da kaum Interaktion mit dem Publikum stattfindet. Keine Begrüßung, und wenn sie noch so enthusiastisch geheuchelt wäre. Schade. Sie liefern ab, was erwartet wird. Aber eben auch nicht mehr. Zwei Stunden mit genau kalkulierter Zugabe dauert das Feuerwerk ihrer Hits und endet auch mit einem. Ein grandioser Abschluss eines tollen Konzerts. Und dann, um 22:45 Uhr beginnt die Hölle 2.0!

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Wo am Anfang 100.00 Menschen stundenlang Zeit haben zu kommen, wollen nun 100.00 Menschen auf einmal nach Hause! Jetzt hätte man vielleicht erwarten können, dass man die Fluchtwege aufmacht oder sonstwie mehrere Ausgänge anbietet. Aber nein: So wie rein, so auch raus! Ein einziger Ausgang! Ich will mir nicht vorstellen, was passiert, wenn jetzt eine Panik ausbricht! Das Gedränge ist schlimm! Wer jetzt den genialen Einfall hat, zu warten, bis sich die Mehrheit verzogen hat und noch ein Bierchen zischen will, hat schlechte Karten: die meisten Cateringstände sind geschlossen. Irgendwie hat das den Charme eines Rauswurfs.

Mir wird klar, dass ich den ganzen Rückweg um das Gelände herum nicht mehr schaffen werde. Die Hüfte protestiert lautstark. Wir fragen einen Security-Typen nach der Möglichkeit, ein Taxi zu bekommen. Der Mann ist nett (wie übrigens alle Securityleute), hilfreich und versucht, uns über Funk eine Auskunft von seinem Leitstand einzuholen. Das klappt aber nicht. Er bietet uns an, bei den Tribünen rauszugehen. Dort hat mittlerweile eine vernünftige Security-Mitarbeiterin einen Zaun geöffnet. Hier kann man auf die Tribüne rauf und auf der anderen Seite wieder runter. So stehen wir dann vor der Südtribüne C2 und hoffen dort, ein Taxi zu bekommen. Schnell wird klar: Das hoffen Tausende andere auch. Und es gibt auch gar keine Möglichkeit für Taxen, an das Gelände heran zu kommen. Alle Straßen sind zur Einbahn umgewidmet worden und führen vom Ring weg. Also zum nächsten Shuttle laufen. Aber wo ist der? Wieder um das ganze Gelände herum, durch die Wohnsiedlung durch? Never! Wir beschließen, zum nahegelegenen P6 zu gelangen, um dort unser Taxiglück zu versuchen. Ein guter Entschluss. Denn wie wir später hören, gibt es bei der Unterführung panisches Gedränge. Loveparade lässt grüßen! Gelernt haben die Verantwortlichen offenbar gar nichts.

Auf dem Weg begegnen uns Polizisten, die den Verkehr überwachen (aber nicht regeln!). Mein Sohn hatte Anfang des Jahres einen schweren Beinbruch und das frisch verheilte Bein protestiert nun auch gegen den Gewaltmarsch. Zu allem Überfluss plagte ihn schon den ganzen Tag ein nervöser Darm. Also fragt mein Sohn verzweifelt die Polizisten nach einer Taximöglichkeit. Die winken ab, erkennen aber die Situation und wollen uns ein Krankenfahrzeug organisieren. Da kommt ein Feuerwehrmannschaftswagen der örtlichen freiwilligen Feuerwehr vorbei. Kurzerhand halten die Polizisten den Wagen an und bitten die Kollegen, uns zum nächsten Parkplatz mitzunehmen. Erfreut sind die nicht gerade, sie haben Schichtende und wollen auch nur ins Bett, aber sie nehmen uns mit! Was für ein Glück! Wir fahren Meter für Meter durch die total blockierte Stadt. Ein einziger Stau! Und wir sehen von unseren bequemen Plätzen die armen Konzertbesucher völlig fertig durch die Nacht taumeln, ihren Autos entgegen. In der Nähe unseres Parkplatzes (wie wir glauben) lässt uns die Feuerwehr aussteigen. Ich kann keine drei Schritte mehr gehen und erreiche mit letzter Kraft einen total überfüllten McD, wo die Schlange aus dem Klo bis auf die Straße reicht, eben so wie die Scheiße aus den überforderten Kloschüsseln. Übrigens sind die Mitarbeiter/innen bei McD dem Chaos absolut gewachsen. Freundlich, höflich, geduldig bedienen sie sich einen Wolf. Chapeau! Das ist richtig Klasse!

Die Liebste und mein Sohn wollen die paar Schritte zum Parkplatz laufen. Das ist so gegen halb eins. Nach einer halben Stunde melden sie sich. Der Parkplatz war noch drei Kilometer entfernt gewesen. Nun sind sie dort, aber alles ist verstopft. Die einzige Ausfahrt ist komplett überlastet und die Einfahrt, zu der ja nun niemand mehr reinkommt, gesperrt. Ich gedulde mich und ordere den dritten BigMac. Dann kommen viertelstündlich die Durchhalteparolen vom Parkplatz. Es geht keinen Meter voran. Die Ärmsten. Ich sitze hier beim vierten BigMac und sie haben nicht mal was zu trinken im Auto. Irgendwann gegen drei Uhr morgens macht die Polizei die Einfahrt auf und sie kommen mich endlich abholen. Um 3:15 sind wir auf dem Heimweg, um kurz vor 5 im Bett! Meine Tochter nebst Anhang waren übrigens per Bahn und Flixbus von Gießen aus via Frankfurt und Mannheim nach Hockenheim angereist. Um den letzten Zug nach Mannheim zu bekommen mussten sie den ganzen Weg zurück rennen. Der Zug war überfüllt, es gab tumultartige, hässliche Szenen, verspätete Abfahrt und dadurch gefährdeter Anschluss an den Bus. Fazit: Ein total geiles Konzert – aber nie, nie, niemals wieder! Jedenfalls nicht auf dem Hockenheimring und ganz sicher nicht mehr auf Konzerten des Veranstalters United Promoters!

Alle 8ung!

Das verflixte Siebte ist geschafft! War gar nicht so schlimm. Wenn man bedenkt, dass sich da vor acht Jahren zwei typische Widder trafen und Hals über Kopf verliebten. Immerhin war dem großen Raaben schon nach 3 Monaten klar: Das könnte was für’s Leben werden! Hatte die Erfahrung doch gezeigt, dass die Halbwertszeit bisheriger Techtelmechtel bei ihm bei ca. 6 Wochen lag.

Bald darauf zog sie zu ihm und schnell fanden sie ein gemeinsames Nest. Gerade beim Nestbau trennen sich ja oft die Geister. Die erste große Prüfung verlief allerdings unproblematisch. Aus Kompromissen wurden neue Leidenschaften. Dann kam noch was Junges dazu. Unser kleiner Spanier war der geduldete Liebesbeweis der Liebsten, hatte es sie eigentlich nicht nach einem Hund verlangt, spürte sie aber doch meine Sehnsucht nach einem Tagesbegleiter im einsamen Home-Office-Leben. Und auch dies sollte Liebe auf den ersten Blick werden. Heute ist die Liebste die hundeverrückteste von uns Beiden. Dann kam der erste gemeinsame Urlaub – und trotzdem hielt das Band der Liebe. Im Gegenteil: die Lust, andere Städte und Länder (und deren Gerichte) zu entdecken, ist eine gemeinsame Freude.

Die zunehmende Korrosion und die folgenden Abnutzungserscheinungen des alten Raaben begleitet die Liebste mit ganz viel Liebe und Geduld. Wäre das nicht so, ginge es mir vermutlich viel schlechter und ich genieße ihre Fürsorge. So freue ich mich auf noch viele einigermaßen gesunde Jahre zusammen und neue gemeinsame Abenteuer. Ganz gemächliche natürlich. Wie es einem so alten Pärchen geziemt.

Nachdem wir die Megastadt Istanbul gemeinsam gemeistert haben, wird uns das Bisschen London nicht schrecken. Zur Feier des Tages hat uns die Liebste im nächsten Jahr in die britische Hauptstadt eingeladen, um dort der letzten Vorstellung von „We will rock you!“ im Dominion Theater zu erleben. Eines von ganz vielen Erlebnissen, die wir Beiden noch genießen werden.

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Qype: Wolfgang Wüst in Frankfurt am Main

Frankfurt am MainGesundheit und SchoenheitGesundheit ArztZahnarzt

Kennengelernt habe ich Herrn Wüst nicht freiwillig. Ich bin Angstpatient und habe daher meist nur mit Zahnärzten Kontakt, wenn die Schmerzen und ein Zahnarztbesuch sich nicht mehr verdrängen lassen. Und das natürlich bevorzugt am Wochenende. Ich habe also viel Erfahrung mit Notzahnärzten. Da waren nicht wenige darunter, die mich spüren ließen, dass sie auf Notdienst, vor allem in der Nacht, keinen Bock hatten.

Und so kam ich um Mitternacht in die Praxis Wüst, nichts Gutes befürchtend. Nur die Aussicht auf Schmerzerlösung ließ mich etwas hoffen.Herr Wüst begrüßte mich sehr freundlich, ja geradezu fröhlich, mit einem kleinen Scherz und bat mich, noch kurz im Wartezimmer Platz zu nehmen. Das war recht voll. Doch es ging zügig voran. Ein Asiate mit dicker Backe und leidendem Gesicht kam vor mir dran. Nach drei Minuten kam er wieder, übers ganze Gesicht strahlend. Wie macht der Arzt das in so kurzer Zeit? Dann war ich dran. Als erstes eröffnete mir Herr Wüst, dass ein TV-Team seine Arbeit filmen wolle und ob ich einverstanden sei. Mir hätte der Teufel persönlich zuschauen können, solange ich von meinen Schmerzen befreit werden würde!

Mein Problem war sicher kein großer Akt, eine entzündete Wurzel musste freigebohrt und mit Medikamenten versorgt werden. Herr Wüst tat das, in dem er mir jeden Schritt erklärte, sehr behutsam vorging und mich immer wieder nach meinem Befinden erkundigte. Dabei immer mal wieder ein lockerer Scherz. Dies und die Betäubungsspritze ließen mich ganz ruhig den Mund aufmachen und alles über mich ergehen lassen. Es war eine völlig angenehme Atmosphäre (soweit man das von einer Zahnarztpraxis sagen kann).

Ich kann also zusammenfassend nichts über Herrn Wüsts Qualifikation bei schwierigeren Zahnproblemen sagen, aber ich hatte bei ihm überhaupt keine Angst. Das ist für mich absolut ausschlaggebend. Ich würde jederzeit wieder zu ihm gehen, auch wenn es ein ganzes Stück weit weg ist von meinem Wohnort und es in der Offenbacher Landstraße kaum Parkplätze gibt.
Mein Beitrag zu Wolfgang Wüst – Ich bin kritzlibaer – auf Qype

Niederländisches, Irisch-Schottisches und deutsche Schokolade

Sittard! Schnell: Wer kennt das? Schon mal gehört? Nööö? Ich auch nicht. Aber jetzt kenne ich es. Dank meinem Schatz, die mich zu einem Candle-Light-Dinner am Wochenende in das schöne Städtchen Sittard, Provinz Limburg, Niederlande, eingeladen hatte. Sittard hat nämlich etwas ganz Besonderes: Ein schnuckeliges Hotel, das in einem ehemaligen Kloster-Komplex liegt. Ein altes holländisches Ursulinenstift wurde liebevoll und behutsam renoviert und ein Teil davon zu einem Hotel umgebaut. Das 4-Sterne-Hotel Merici ist ein Kleinod von Hotel. Die alten Strukturen wurden größtenteils erhalten und eine moderne Hotelarchitektur integriert. Unser großzügig geschnittenes Zimmer liegt im Erdgeschoss und man hat dort einen, wie in Holland üblich, durch keine Gardine getrübten Blick in den Klostergarten.

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Mit fremden Betten hab ich ja so meine Probleme. Mein altes Gestell braucht vertraute Matratzen, sonst rebelliert es nach dem Aufstehen und kann einem das schönste Urlaubswochenende versauen. Die Betten im Medici sind allerdings erste Sahne. So gut wie dort habe ich schon lange nicht mehr geschlafen! Kann aber auch an meiner reizenden Begleitung gelegen haben. Das bequeme Bett musste allerdings auch ein Manko wettmachen, das zwar wunderschön anmutet, aber nicht eben praktisch ist: Das Zimmer besitzt statt eines Bades mit Toilette eine Sanitär-Nische. Ich nenne das jetzt mal so. Also eine Erweiterung des Zimmers gegenüber dem großen Baldachin-Bett, mit wunderschönem Granitwaschbecken, Spiegel und Ablagen. Rechts und links davon je ein Kämmerlein mit dunklen Kacheln, passend zum Waschbecken. Aber nur mit einer Tür aus transparentem Milchglas, die unten und oben auch noch einen großen Spalt zum Lüften offen ließ, eher weniger denn mehr verschlossen. Nun ja, da muss die intime Zweisamkeit schon sehr innig sein, um olfaktorisch und akustisch zu harmonieren.

Vielleicht sind wir auch schon zu alt für solche neckischen innenarchitektonischen Spielchen. Gut, dass das Frühstücksbüffet ein Traum ist. Genau wie das ganze Hotel nachhaltig geführt und mit Bio-Waren bestückt (mit Ausnahme des trotzdem äußerst leckeren Nespresso-Kaffees vielleicht). Ein Koch bereitet nach Wunsch die Eier frisch auf einer Kochplatte in allen möglichen Variationen zu. Viele frische Säfte und sagenhaft leckere, frisch gebackene Croissants und Brötchen, der zarteste Lachs, ein hervorragender, alter Gouda und viel, viel mehr haben uns den Tag gleich am Anfang versüßt.

Sittard ist winzig und die Altstadt besteht nur aus dem Kloster und einem großem Marktplatz mit wunderschönen alten Wirtshäusern. Aber nichts Anregendes für ein verliebtes Paar. Deshalb sind wir zunächst ins zwanzig Kilometer entfernte Maastricht gefahren, wo uns der Freitagsmarkt lockte. Vor allem der Fischmarkt hatte es uns angetan. Hier gibt es alles, was das Meer hergibt. Wir haben Fische gesehen, die wir nie zuvor gesehen hatten. Am liebsten hätte ich mich von Stand zu Stand durchgefressen. Immerhin habe ich mir jungen Matjes gegönnt, die Leibspeise der Niederländer (und mit Verlaub: auch die einzige, die mir schmeckt). Der Fisch ist so zart, dass man ihm mit den Lippen zerteilen konnte und man aufpassen muss, dass er beim Einstippen in die Zwiebelwürfel nicht von der Gräte flutsch.

Matjes

Der Rest des Marktes rund um das wuchtige Rathaus ist ein gigantischer Kramladen. Gefühlt Tausende von Ständen bieten Stoffe und Klamotten, Schmuck und Stehrumchen und Staubeinchen an. Nach ein paar Reihen hat man das Gefühl, alles gesehen zu haben. Der Geist wird müde, die Beine waren es schon lange und der salzige Matjes verlangte nach was Süßem hinterher. So sind wir durch die engen Gassen rund um den Marktplatz gestolpert, direkt auf ein unscheinbares, kleines Café zu, weitab vom Touritrubel. Das Taart ist ein witziges Café, schlicht eingerichtet mit einem Mix aus hypermodernen, knalligen Gemälden und antiquarischem Cafehaus-Interieur. Kitschige, bunte Sammeltassen und -Kannen überall. Die Kuchen werden selber gemacht und sind so bunt wie die Bilder an der Wand. Allerdings schmecken sie um Längen besser. Wir hatten einen Kokos-Bananen- und einen Mango-Ananas-Kuchen. Die Besitzerpärchen ist sehr nett und berät bei der Auswahl. Witzigerweise hatte sie ein T-Shirt an mit einem großen Schnurrbart drauf und dem Text: I’ll cut your moustache!“. Klar, dass sie unbedingt meinen Bart anfassen und wissen wollte, wie der gestylt wird. Auf einem Finger hatte sie auch noch einen Schnurrbart tätowiert. Ganz offensichtlich bartgesteuert, die Frau. Wenn ich nicht schon über beide Ohren verliebt wäre, hier hätte ich größte Chancen gehabt. …

Hoeschen

Am Abend nach dem Einchecken ins Hotel dann ein Bummel durch die Altstadt rund um den vor Touristen brodelnden Markt. Uns war klar: Hier wollten wir nix essen. Über tripadvisor hatten wir uns über die einheimische Gastronomie schlau gemacht. Wir wollten was typisch Niederländisches essen. Aber das einzige einheimische Lokal bot auf der Karte Zweifelhaftes von Schwein und Huhn mit viel Mayonnaise an. Also entschieden wir uns für den bestbewerteten Griechen vor Ort. Der aber war hoffnungslos voll und die Frage, ob draußen serviert werden würde (wo ein Tisch frei war), wurde patzig verneint. Jetzt war es schon 21 Uhr und wir Hunger dominierte unser Denken. Direkt gegenüber dem Griechen lag ein rustikales Lokal, das Eetcafe PretZels, mit vielen alten Reklametafeln an der roten Häuserwand und einem Ständer, auf dem (auf englisch) das frische Bier und „topless-Bartenders“ angepriesen wurden. Die Liebste war weniger amused, ich hätte die Oben-Ohne-Bedienung schon notgedrungen irgendwie toleriert, wenn es nur etwas Gescheites zu essen geben würde.

Rathaus Gasse

Eigentlich war uns alles egal und wir betraten das Lokal, einen Irish Pub, dessen Wände über und über mit Whiskey-Flaschen vollgestellt war. Sehr urig und ziemlich leer. Gespannt, was uns erwarten würde, nahmen wir Platz. Ein junger, sehr beflissen wirkender Kellner (vollständig bekleidet) überreichte uns dicke Ordner mit der Speisekarte. Auf ca. 50 Seiten wurden die Gerichte und die Whiskeys liebevoll und ausgiebig beschrieben, leider nur auf holländisch. Nur eine Seite fasste alles auf englisch zusammen. Mein Auge fiel sofort auf das schottische Nationalgericht Haggis. Die Liebste fand das Sour Stew toll, auch wenn sie das „Gingerbread“ dazu etwas irritierte. Das Sour Stew mit Gingerbread erwies sich dann aber als schottisches Pendant zu rheinischem Sauerbraten. Das Gingerbread war Spekulatius. Und zwar reichlich. So durfte ich die Hälfte vom Stew verdrücken, neben einem fantastischen Haggis. Vorne weg ein Gruß aus der Küche mit Schinken, Erdbeermarmelade und Minigrissinis. Dann ein toller Salat aus Früchten der Saison mit Blattsalaten. Als Nachtisch ging nur noch ein Whiskey, auf Empfehlung des Wirtes ein frisch importierter Island-Wiskey von Laphroaig, ein QC Cask, ein Blend aus verschiedenen Wiskeys. Unvergleichlich mild und doch voller Torf- und Raucharomen. Dazu noch die paar Guinness, die mir noch nie so gut geschmeckt haben wie hier, und die Augen meiner Liebsten im Kerzenlicht gegenüber: Was kann es Schöneres geben?!

Pretzels

Am nächsten Tag dann wieder ab nach Maastricht, Bootchen fahren. Für die avisierte Schleusenfahrt war es, dank des ausgiebigen Schlemmerfrühstücks, schon zu spät. So buchten wir die Fahrt in das Bassin, die alte Hafenanlage von Maastricht. In einem kleinen, flachen Boot voller aufgekratzter Holländer und ihren süßen Kindern ging es durch alte Kanäle, durch eine große, beeindruckende und eine kleine, alte Schleuse, in die alten Hafenanlagen, die vor hunderten von Jahren von Sklaven aus den holländischen Kolonien, sicher nicht unter komfortablen Bedingungen, erbaut wurden. An der modernen Skyline von Maastricht vorbei endete die zweistündige Fahrt. Wir waren mal wieder geistig wie körperlich platt – vom vielen Rumgucken und -sitzen. Nicht weit vom Parkhaus (das ein Vermögen kostete) lag unser nettes Café vom Vortag und so schleppten wir uns dorthin, um uns durch die tollen Kuchen und dem aromatischen Kaffee wieder aufbauen zu lassen.

Maas1 Maas2

Abends stand das Candlelight-Dinner an. Das Restaurant des Hotels liegt ausgelagert, ca. 70 Meter weit entfernt, am Marktplatz. Von alleine wären wir hier nicht reingegangen, da das de Kroon so nach Touri-Nepp aussieht. Das Lokal war komplett besetzt. Nur für uns war noch ein winziges Tischlein, direkt neben dem Gang zum Klo und zur Küche (was sich aber gottseidank nicht olfaktorisch bemerkbar machte) reserviert. Nach ziemlich langer Wartezeit ging es dann los mit einem Carpaccio von Limburger Rinderlende mit Gänseleberpastete, Salat mit Speckcroutons und einer Parmesanhippe. Dann folgten recht zügig ein Hummercremesüppchen mit einem Meerrettichsahne-Crouton. Ofengebackenes Kalbsfilet an Rosmarinjus mit Champignon-Kartoffelstampf und knackigen grünen Bohnen waren der Hauptgang. Das Dessert wurde eingeleitet von einer Roquefort-Terrine auf Nussbrot mit Crema vom Apfel und gebrannten Nüssen. Mangosorbet auf Erdbeer-Papaya-Trifle rundete das Menü ab.  Das alles in Bioqualität für relativ wenige Neuronen. Korrespondierende Weine hatte ich dazu nicht gewählt, weil ich nicht wie Miss Sophies Butler meine Liebste zum Hotel geleiten wollte. Das alles in einem tollen Ambiente mit z.B. Servietten aus schadstofffreiem, fairgehandelten Stoff. In einem zauberhaften holländischen Städtchen. Wir waren schwer begeistert!

Frühstücksbedingt spät haben wir uns dann am Sonntag spontan entschlossen, auf der Rückfahrt noch einen Abstecher ins Schokoladenmuseeum in Köln zu machen. Köln war in einer Stunde zu erreichen und somit ideal für einen Nachmittagsspaziergang über die Domplatte und anschließender Fahrt mit einem Bimmelbahn-Busschen zum Museum am Rheinufer. Was wir nicht wussten: An diesem Tag lief ein Triathlon und die halbe Stadt war abgesperrt (inkl. Altstadt und Rheinufer). Und was wir außerdem nicht bedacht hatten: dass Sonntags eben alles, was zwei Beine hat, ins Schokoladenmuseum pilgert. So war der Spaß etwas begrenzt. Immerhin gönnten wir uns ein Kaffeepäuschen im Museumscafe beim Warten auf die Schokoladentäfelchen, die wir für unsere lieben Kleinen daheim kreiert hatten und die nun in der museumseigenen Manufaktur angefertigt wurden. Ich erlag noch den Lockrufen eines Chateau Framboise, einer kuchengroßen Praline.

Nun noch fix nach Gießen unseren kleinen Spanier wieder abholen, auf den die Kids aufgepasst hatten. So gerne wir ihn dabei gehabt hätten: Es wäre für alle Beteiligten nur Stress gewesen. Und so war es ein wunderschönes zweisames Wochenende. Müssen wir unbedingt bald wieder mal machen …

Mehr Bilder gibt’s HIER auf flicr.

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Ein Abend mit Konstantin

… hatte uns noch gefehlt in unserer Sammlung. Genau wie den Waader wollten wir den Wecker unbedingt mal live erlebt haben. Am schönsten wäre das ja bei der gemeinsamen Tour der beiden gewesen. Oder auch nicht. Die beiden passen eigentlich nicht auf eine Bühne, wie es scheint. Der Waader schüchtern, fast autistisch, der Wecker genau das Gegenteil …

Am Sonntag gab Konstantin Wecker sein Abschlusskonzert der Wut & Zärtlichkeit Tournee im Hanauer Schloß Phillipsruhe. Wir hatten Platzkarten, warum also hetzen? Und so setzten wir uns sonntagsgemütlich in Bewegung. Hätten wir geahnt, dass eine ziemlich blöde Baustelle und der sonntägliche Ausflügler-Rückreise-Verkehr unsere kommode Sicherheits-halbe-Stunde zu wenigen Minuten schmelzen ließ, wären wir früher in die Puschen gekommen. So hatten wir ein Dejavu-Erlebnis und mussten an Reinhard Mey denken, den wir auch nur zur Hälfte sehen durften, weil Straßenplaner uns einen Strich durch die Anfahrt-Rechnung machten. Zu allem Überfluß war der lokale Parkplatz auch schon voll und wir hätten irgendwo in Kilometer entfernten Wohngebieten ein Plätzchen für Jazzy finden und uns zu Fuß zurück zur Bühne schleppen müssen. Und das bei der Hitze! Aber ich kenne da keine Skrupel! Direkt vor der Einfahrt an der Kreuzung waren ein paar Zentimeter frei und im Nu von unserer Jazzy okkupiert. Den Hinweis von der netten Parkwächterin, wir bekämen bestimmt ein Knöllchen, steckten wir locker weg. Es wäre sicher billiger als die sonst notwendige Behandlung meiner Physiotherapeutin gekommen.

Kaum saßen wir auf sehr guten Plätzen in der 10. Reihe (ausreichend weit geschnitten für unsere Hintern) und dank Arenastufen guter Sicht, kam Konstantin mit seiner Band ganz unprätentiös auf die Bühne geschlendert, sagte ein paar launische Wort und legte los. Leise und poetisch. Ich hatte einen polterndes Energiebündel erwartet. Eine tolle Band mit Keyboarder, einem vielseitigen Drummer, der zeitweilig auch den ansonsten fehlenden Bass zupfte und einem Ersatz-Gittaristen, einem sehr sympathisch rüberkommenden jungen Mann, der sich das Repertoire an einem Tag drauf geschafft hatte und fantastisch spielte. Wecker mittendrin, sichtlich gut gelaunt, keine Spur von Tournee-Müdigkeit. Zwischen den Liedern immer wieder politische Statements, Kabarettnummern. Und dann auch die kraftvollen Lieder. Der Höhepunkt vor der Pause der Weltenbrand, eine furiose Nummer, bei der man staunt, wie so eine kleine Band einen solchen Sound schaffen kann!

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Schon vor der Pause hatte er darauf hingewiesen, dass er nicht länger als 22 Uhr spielen dürfe, wir sollten deshalb die Pause kurz halten. Er wolle doch noch einen schönen Abend haben… Und wie schön der wurde. Wecker und die Band spielten mit einer wahren Wollust und der Abend schien nicht enden zu wollen. Dann das Bad in der Menge: Konstantin geht durch die Reihen und genießt sichtlich die schon seit länger stehenden Ovationen. Gänsehaut-Feeling. Hier liefert einer nicht nur ab (wie Joe Cocker in Fulda) sondern hier lebt einer auf und spielt, was das Zeug her gibt. Das Publikum ist völlig aus dem Häuschen.

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Natürlich kann er nicht um Punkt 22 Uhr aufhören. Er kann es sichtlich nicht sein lassen. Nach fast 2,5 Stunden geht ein völlig erschöpfter Wecker von der Bühne. Ein toller Sonntagabend mit einem tollen Konstantin Wecker, einer tollen Band und einer tollen Frau an meiner Seite. Und Jazzy ohne Knöllchen. Na also: geht doch!

Kalter Fisch, heiß genossen

Es gab ein bisschen was zu feiern: Das Zweitkind hatte seine Thesis mit Bravour gemeistert, einen guten Job bekommen und die Probezeit überstanden. Also hatte ich die beiden Hauptverantwortlichen für diesen Erfolg, die frischgebackene Marketing Managerin und ihre Mama, in Personalunion auch noch meine Liebste, zu einem netten Dinner in die hessische Hauptstadt eingeladen. Ein ganz besonderes Lokal wollte ausprobiert werden. Es gab aber eine Hürde: Was tun, wenn mann gerne Sushi ist, die Liebste aber nicht? Ganz einfach: In’s Okinii gehen! Ich hatte die Wiesbadener Filiale dieser Mini-Sushikette aus zwei Gründen ausgewählt: Zum einen lockte mich alten Nerd die innovative Bestellmöglichkeit per iPad, zum anderen die Auswahl an japanischen Gerichten. Denn es gibt hier mehr als die üblichen kalten Reisrollen mit rohen Fisch. Das mag die Liebste nämlich nicht so sehr. Im Okinii hatte sie die Gelegenheit, auch andere Speisen zu probieren.

Blöderweiise hatten wir uns den gefühlt heißesten Tag dieses Sommers ausgesucht. Es war ziemlich voll und die Klimaanalage (falls überhaupt vorhanden) hatte den Geist aufgegeben. Das war dann aber auch der einzige Wermutstropfen an diesem Abend. Ansonsten war alles stimmig: Freundliche Begrüßung und Platzanweisung, überhaupt sehr aufmerksamer, freundlicher, flotter Service! Die Einrichtung ein gelungener Mix aus modernem Japanstil und altem Wiesbadener Stuck. Schön aufgeteilt, die Sitzgruppen genügend separiert vom Nachbartisch und mit sehr bequemem Gestühl ausgestattet. Alles ist sehr sauber (sogar die analogen Speisekarten, die es auch noch gibt, werden abgewischt). Und natürlich meine attraktive Begleitung nicht zu vergessen, deren Augen schon erwartungsfroh glänzten. Oder war das die Hitze? Oder gar ihr Gegenüber?

Eine kurze, aber verständliche Einweisung in die Bestellung mit dem iPad ging etwas in der zu lauten Musik unter. Ein Manko, das leider in vielen Restaurants mittlerweile anzutreffen ist. Musik ist ja auch Geschmackssache, aber diese passte auch irgendwie vom Stil nicht hier her.

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Die Bestellung ist einfach: Pro Person können auf dem iPad in einem Bestelldurchgang 5 Gerichte bestellt werden, ganz einfach, indem man auf die abgebildeten Speisen klickt. Die aktuelle Gesamtsumme der Bestellung wird angezeigt, man kann natürlich korrigieren, und nach dem Abschicken wird die Zeit bis zum nächsten möglichen Bestelldurchgang angezeigt. Man kann jederzeit in der Bestellhistorie nachschauen, was man bestellt hat. Nachteil ist, dass man nicht mehr weiß, wer was bestellt hat, wenn die Speisen kommen. Man muss dann noch mal in der Karte nachschauen. Manche Gerichte kommen auch etwas später, was ebenso das Durcheinander fördert. Bei uns dreien gab es schon Verwirrung, was aber auch wiederum der Unterhaltung förderlich sein kann ;-). 2,5 Stunden lang darf man auf diese Weise bestellen, was mehr als ausreichend ist. Wir hatten mit Mühe drei Durchgänge, sprich 45 Einzelgerichte in 1,5 Stunden. Danach ging beim besten Willen nichts mehr rein. Was schade war, denn die Qualität war ausgezeichnet und die Aromen in einer Fülle, wie ich sie noch in keinem Sushi-Laden genießen durfte.

Danach haben wir noch die Prachtbauten im Wiesbadener alten Villenviertel bestaunt. Vom Auto aus, bei offenem Fenster und laufender Klimaanlage. Irgendwie mussten die frischen Fische, die in uns schwappten ja gekühlt werden.

Dada at it’s best

Reinald Grebe. Äh ja, kenn ich. Ob ich den mag? Na ja. Geht so. Also von dem kenn ich das Brandenburglied. Das ist ja schon witzig, irgendwie. Aber sonst? Also, ich weiß nicht! So oder so ähnlich war meine Meinung über diesen – ja, was eigentlich? – Comedian? Kabarettist? Keine Ahnung! Und irgendwie hatte ich mich auch nie mit ihm auseinander gesetzt. Und dann finde ich plötzlich zwei Karten für ein Grebe-Konzert auf meinem Gabentisch zum 60sten. Thomas hatte sich das ausgedacht, in der sicheren Überzeugung, ein so ausgeflippter Alter wie ich muss auf so ausgeflippte Künstler mit Indianerschmuck auf’m Kopf stehen. Also, ich gestehe: Ich war schon etwas konsterniert über dieses Geschenk. Aber gut, die Liebste und ich, wir machen ja alles mit. Und ’nem geschenkten Gaul guckt man nicht in’s Maul.

Am 17. Juli war es soweit. Im Burggarten der Burgruine Dreieichenhain sollten wir unser rainaldiges Wunder erleben! Los ging es schon mal bedenklich. Das Gestühl war offensichtlich für Zwerge errichtet worden. Sitzschalen in Barbiepuppen-Format. Und Schalen kann man wörtlich nehmen. Mit hohem Rand. Auf dass die Schweißtropfen nicht auf den Fußbaden schwappen. Und der Blutfluss in den Oberschenkeln bestens unterdrückt wird. Nach 5 Minuten Sitzens auf der noch leeren Tribüne war klar: Es würde Thrombosen ohne Ende geben! Schnell die Gelegenheit ergriffen und noch etwas aufgestanden, Beine vertreten, Foto machen.

Dann wird es voller. Ausverkauftes Haus, wie es scheint. Viele in unserem Alter, wenig Junge. Und dann kommt Rainald auf die Bühne gesprungen, wo ein Flügel und ein Haufen Müll auf ihn wartet. Er hat diesmal keinen Indianderschmuck auf (der kommt später), dafür ein rosa Ballettröckchen und ein rosa Kopftuch. Dazu eine Anzugjacke und die unvermeidliche, ausgebeulte Karottenhose. Also, ganz ernst scheint es heute nicht zu werden. Rainald freut sich über den frenetischen Applaus und fängt an Volkslieder zu spielen. Volkslieder? Geht’s noch? Sind wir hier bei Karl Moik oder auf’m Ballermann? Nein, wie sind bei Rainald Grebe und das merkt man dann an den nicht mehr ganz originalen, dafür um so mehr originellen, Texten. Die Gassenhauer-Melodien tun ein Übriges und wir sind bald alle in Schunkelstimmung.

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Der Herr Grebe macht Blödsinn. Herrlichen Blödsinn. Dadaismus in Reinform. Das macht richtig Spaß, obwohl manches einfach nur albern ist. Dazwischen aber immer wieder böse Spitzen, ganz gekonnt und treffsicher platziert. Das ist die eine Seite, die andere ist die larmoyante Seite von Rainald Gebe. Die kommt zum Vorschein, wenn er über sein Leben auf Tournee singt oder über die Pubertät und wie wenig erfreulich das manchmal ist. Da mischt sich unter die Gags so was wie Selbstmitleid. Und das geht uns irgendwann auf den Geist. Und wir erwarten das Ende des Konzertes, auch weil wir unsere Beine nicht mehr spüren. Rainald aber fühlt sich sauwohl und spielt einfach weiter. Zweieinhalb Stunden lang albert er am Flügel rum, verkleidet sich ständig, schäkert mit seinem Ton- und Lichtingenieur, der per Video auf einer Leinwand zu sehen ist, wie er scheinbar wenig begeistert ebenfalls auf den letzten Ton hofft. Das Publikum ist aus dem Häuschen, spendet stehende Ovationen und lässt Rainald immer wieder auf die Bühne kommen, bis der, völlig aufgelöst, endlich aufgibt. Nicht böse sein, Rainald, wir hätten dir noch stundenlang zuhören können, wenn wir keine Beine oder wenigstens bessere Stühle gehabt hätten.

Als endlich das Kribbeln in den Beinen nachließ und die Blutzirkulation ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte, wir im klimatisierten Auto saßen und später vor zwei fettigen Hamburgern, war es Zeit Resümee zu ziehen: Es war ein kurzweiliger, lustiger, schöner Abend! Danke, Thomas! Wirst zum nächsten Geburtstag wieder eingeladen!

Grande spettacolo!

Spektakel

Ein lang gehegter Wunsch ging an diesem Wochenende in Erfüllung. Die schönsten Geschenke sind bekanntlich solche, die einem auch selber gefallen. So war der Besuch einer AIDA-Aufführung in der Arena von Verona genau das richtige Geschenk für die Liebste. Schon öfter hatte ich versucht, Karten für eine der Tournee-Aufführungen zu bekommen, war aber jedes Mal gescheitert. Mal fehlte die Zeit, mal die Kohle, mal waren die Karten weg oder nur noch schlechte Plätze zu bekommen. Diesmal wollte ich es direkt in Verona probieren. Natürlich war die Samstagsvorstellung, die uns anreisetechnisch am Besten gefallen hätte, ausverkauft. Also probierte ich es am Freitag. Und siehe da: Spitzenplätze noch in Hülle und Fülle. Ich buchte 16. Reihe Mitte und war glücklich über den Kauf. Besonders schön: es war die Premiere der diesjährigen Saison.

Schoenes_Paar

Wir freuten uns riesig und fortan gab es nur ein Thema: Die Kleidungsfrage. Gar nicht so einfach, wenn man sich Abspecken verordnet hat und somit nicht genau weiß, ob der Konfirmationsanzug noch oder schon wieder passen würde. Außerdem musste das Outfit der besonderen Gelegenheit wegen auch schon etwas Besonderes haben. Bei der Liebsten war das klar: ganz ausgefallene Ohrringe. Ich hatte ihr passend zu den Tickets symbolisch zwei Legofiguren ans Ohr gehängt, winzige Pharaonen in der bekannt kantigen Lego-Optik. Das war witzig, aber vermutlich nicht edel genug. In Frage wären noch zwei Dekofiguren, Nofretete-Köpfe aus einem schweren Kunststoff, gekommen. Die sahen stylish aus mit viel Goldglitzer, hätten aber zarte Ohrläppchen in Kürze bis in Bauchnabelhöhe gezogen. Irgendwann habe ich all meinen Mut und einen Dremel zur Hand genommen und hab die Dinger vorsichtig ausgefräst. Von unten und oben so weit wie möglich alles rausgeholt. Anschließend die Stellen neu angemalt und schon waren satte 10 Gramm weniger am Ohr! Das Problem war gelöst. Bei mir sollte es eine Krawatte sein. Golden, mit ägyptischen Hieroglyphen drauf. Die waren im Internet schnell gefunden. Ebenso eine Textildruckerei, die den Binder für mich bedrucken konnte. Perfekt. Der Abend könnte kommen …

 

 

Davor war natürlich noch die Anreise gesetzt. Wir hätten fliegen können. Aber mit An- und Abfahrt, Parkplatz und Flug wäre der Tag auch rumgegangen und so fuhren wir mit Biggis automatischer, klimatisierter Jazzy. Angesichts der Mautabzocke in A und I und den unverschämten Spritpreisen wären wir vermutlich per Flug billiger weggekommen. So waren wir unabhängiger, konnten Hörbuch hören, die Alpen und unsere Zweisamkeit genießen. Das Hundeviech war auf Urlaub bei den Kids. Am Ziel angekommen lernten wir durch falsche Navieingabe erst einmal die hässliche Industrieseite von Verona kennen und schließlich das Vier-Sterne-Hotel Saccardi am Veroneser Flughafen. Zumindest der Schallschutz der Fenster war vier Sterne wert. Der Rest immerhin sauber und die Betten bequem. Man wird bescheiden.

 

Hundemüde und tierisch hungrig haben wir uns dann in die Altstadt begeben. Die Liebste hatte eine Kneipe ausgesucht, die noch nicht touristisch verseucht sein sollte. Sagte zumindest der Reiseführer 😉 Der warnte auch, mit dem Auto in die Stadt zu fahren. Mit Recht, wie es aussah. Die Innenstadt komplett für den Individualverkehr gesperrt und außen rum alle verfügbaren Parkplätze belegt. Bis auf den Einen, den ich immer finde. Tapfer die horrende Parkgebühr ignorierend sind wir dann an der Etsch entlang ins Städtchen gebummelt und haben das Lokal sogar gefunden. Natürlich alle Tische besetzt. Teils mit Einheimischen, teils mit Touries, aber überwiegend mit jungen, lärmenden Italienern. Der Patrone bugsierte uns zu anderen an den Tisch und wir wählten aus der deutschen Karte. Ganz offenbar wirklich nur eine Übersetzung und keine Abzock-Karte mit Touriepreisen. Ich war auf Pferdefleisch scharf, das in Verona Tradition hat und die Liebste wollte Kutteln, ebenso Veroneser Spezialität. Die gab es leider nicht, dafür eine Ragout vom Pferd mit Polenta. Diese Pastissada di caval ist ein in Amarone tagelang eingelegtes und anschließend stundenlang darin gekochtes Pferdefleisch, eine Art Gulasch. Wunderbar zart und voll von diesem unvergleichlichen Aroma dieses lombardischen Weins, den ich auch dazu trank. Davor noch eine Bollito Misto, eine gemischte Wurst- und Schinkenplatte mit würzigem Mortadella, Salamis und Schinken der Region. Dazu ein tolles Olivenöl und frisches Brot. Da möchte man ewig so sitzen bleiben und den Balztänzen der brunftigen Jugend zuschauen. Zierliche Italienerinnen, die sich aufreizend und selbstbewusst in wunderschönem Fummel den Jungen präsentieren, die gockelartig herumkrakeelen und feurige Blicke aussenden. Ach ja, lang ist es her … 😉

Henning

Gelateria

Natürlich war es logistischer Blödsinn, eine solche Stadt am Tag und die Arena am selben Abend zu erkunden. Und das auch noch am ersten richtig heißen Tag diesen Jahres. Ziemlich müde von der Anfahrt und dem Amarone vom Vorabend sind wir zu spät aus den Federn gekommen und hätten um ein Haar das Frühstücksbuffet verpasst. So waren es nur ein paar traurige Reste, die uns für den anstehenden Stadtbummel stärken konnten. Per Navi haben wir uns dann an den zentralen Startplatz der ganzen Touristenscharen, dem Piazza di Bra, angeschlichen, auf dem auch gleich die Arena in der gleissenden Sonne liegt. Davor ein kleiner Park. Und darin, genauer: in dessen Schatten, fast alle Touristen. Also schnell das berühmte, beeindruckende Gemäuer fotografiert und den Strömen in die Stadt gefolgt. Hatten wir am Vorabend noch einen pittoresken Stadtteil mit morbidem Charm erlebt, schleppten wir uns nun durch eine Altstadt voller angesagter Modeboutiquen. Von Prada bis Gucci – alle da. Nicht da: kleine Kneipen, Cafés oder Imbisstuben, von denen der Reiseführer so geschwärmt und den unsere fast frühstückslosen Mägen so sehnlich erhofft hatten. Dafür Ristorantes mit den Ausmaßen von Fußballfeldern, die dürftig belegte Pizzen für 20 Euro feilboten.

Mauer

Nicht mit uns! So haben wir uns tapfer weiter durch diesen Tourismus-Moloch gekämpft. Wie gerne hätten wir uns in ein Straßencafe gesetzt und über diese Menschen abgelästert! Immerhin haben wir ein Bimmelbähnchen geentert und sind mit diesem durch die Randbezirke der Altstadt gekutscht worden. Diese Fahrt hat mich inspiriert, wo ich am nächsten Tag hätte hinfahren können und – vor allen Dingen – wo nicht hin, wenn wir denn noch Zeit dafür gehabt hätten. So haben wir uns dann noch das Wohnzimmer der Stadt, die Piazza di Erbe, ein Marktplatz, angeschaut und sind mit Grauen weiter geflüchtet vor den hässlichen Nippesständen. Weiter zum berühmten Julia-Balkon, den ein findiger Mafiosi in den dreissiger Jahren an einen alten Palazzo bauen ließ und behauptete, es sei der Balkon, von dem die shakespearische Julia ihren Romeo anschmachtet hätte. Dazu kam noch eine Juliastatue, von der es heißt, wenn Verschmähte ihre rechte Brust berühren, würde die Liebste sie dann doch noch erhören. Entsprechend abgegriffen war die Titte. Davor ein Grundrauschen durch das Klicken der tausend Fotoapparate und dem Wedeln der Fächer der in der Hitze transpirierenden Damen. Die Wände im Torbogen zum Hof mit Liebesbotschaften vollgemalt, davor kreischende, giggelnde Teenies mit Eddingstiften auf den Schultern ihrer Lover, mehr oder weniger sinnige Sprüche über verblassende, ältere kritzelnd. Wir sind weiter gewankt, auf der Suche nach Ess- oder Trinkbarem, nach dem Parkhaus mit der rettenden Jazzy (und hatten prompt zunächst das falsche Parkhaus angelaufen). Irgendwann sind wir der Hitze und dem Touri-Irrsinn entkommen und haben uns ins airkonditionierte Hotel verkrochen, um uns frisch und noch schöner zu machen für den Abend.

 

Angesichts der Hitze kamen mir Zweifel, ob es denn noch angemessen sei, in Anzug und Krawatte in der Arena einzulaufen. Genauso gut hätte ich gleich prophylaktisch ins Krankenhaus fahren können, um den drohenden Hitzschlag behandeln zu lassen. Aber es wäre mir peinlich gewesen, als Einziger in sportlichen Klamotten dort rumzulaufen. Also hab ich mir den Binder umgezwängt, der sich als zu kurz erwies. Und das Hemd ging auch nicht zu. Das war dann wenigstens eine kleine Lüftermöglichkeit. Das Hotel offerierte uns ein Opern-Buffet. Für 8 Euro gab es ein paar belegte Plätzchen. Das sah so dürftig aus, dass wir tapfer verzichteten und auf Nahrhafteres in der Arena hofften. Immerhin gab es einen Shuttle-Service, der uns zur Arena bringen würde.

 

Denkste. Er hätte bis 100 Meter ranfahren können. Tat er aber nicht, sondern schmiss uns einen Kilometer vorher raus (weil er da parken konnte). Nach 10 Metern Fußweg hatte ich die restliche Flüssigkeit aus mir raus und in mein Hemd hinein transpiriert. Gottseidank ging ein leichter Wind und wir fanden ein schattiges Plätzchen im kleinen Park. Die Vorstellung sollte erst um 21:15 Uhr beginnen, der Einlass für „Promis“ wie uns erst um 20:30 Uhr. Der „Pöbel“ durfte schon Stunden vorher rein und sich ein Plätzchen auf den Steinstufen suchen. Dafür konnte man sich Kissen kaufen und anderes, weniger sinnvolles Zeug. Nur keine Getränke! Nirgends! Und zu Essen hätte es auch nur in den überteuerten Ristorantes gegeben. Jetzt wäre ich bereit gewesen, meine Eintrittskarte gegen was Essbares einzutauschen, wenn es denn noch einen Platz gegeben hätte.

 

Dann entdeckten wir doch noch einen Stand mit ekelhaft süßem Granitee (ich) und erfrischendem Wasser (die Liebste). Das Schauspiel vor der Arena war schon die halbe Miete. Diese Mischung aus luftigen Tourie-T-Shirts, sexy kleinen Schwarzen (ich meine die Klamotten), wallenden Abendgarderoben und schwarzen Anzügen, von runtergerissenen Backtrackern, quietschbunten Touriebäuchen, goldglitzerbehängten Mamas, rassigen, highgeheelten Püppchen und ihren ergrauten Latin Lovern, die um die Arena flanieren, um zu sehen und gesehen zu werden – herrlich. Mein Hemd war fast wieder trocken und wir begaben uns zum Einlass. Unterwegs begegneten uns noch Nina Eichinger, die Moderatorin und ein uns unbekannter Mann (Roberto Villanzon, ein Opernstar, wie sich herausstellen sollte), umringt von einem Filmteam. Jetzt wurde uns klar, dass hier mehr ablief als nur eine Premiere. Plakate hatten das schon gezeigt: Dieses Jahr wiederholte sich die erste Aufführung in der Arena die Verona zum hundertsten Mal. Und die Inszenierung war zum ersten Mal in die Hände von experimentierfreudigen Spaniern gelegt worden. Die Truppe La Fura dels Baus ist bekannt für extreme Inszenierungen. Der Dirigent sollte ein Shootingstar aus Israel sein und die Titelrolle von einer Japanerin gesungen werden. Kein Wunder, dass tutti Verona, wenn nicht ganz Italia, vor Ort war. Stars, Sternchen, Politiker, ein Auflauf wie bei einer Oscarverleihung, roter Teppich und uniformierte Ehrengarde inklusive. Und wir mitten drin.

 

Am Eingang zum Innenraum hatten sich TV-Teams postiert und filmten was das Publikum hergab. Natürlich entdeckte uns eine Kamera und hielt voll auf uns drauf. Schon ein komisches Gefühl. Aber auch irgendwie logisch, schließlich sind wir ja auch ein Augenschmaus ;–). Unsre Plätze waren optimal. Nicht zu eng und gut gepolstert. Das Parkett ist leicht ansteigend angelegt, sodass man bestens sehen kann. Und gut gesehen wird. Das Publikum auf der Steinstufen begrüßt johlend bekannte Promis. Reporter und Fotografen wuseln herum, Blitzlichtgewitter gehen auf einen Italiener vor uns nieder, der mir irgendwie bekannt vorkommt. Ein alternder Fußballstar oder ein Rennfahrer, so sieht er jedenfalls aus, mit einer knackigen, gut 25 Jahre jüngeren Begleiterin im extrem winzigen Schwarzen. Das Publikum hier ist sehr gemischt. Die Abendgarderoben überwiegen, aber es gibt auch Hemdsärmelige. Ich wäre leger sicher nicht mehr aufgefallen als sowieso schon. Einer trägt Jeans, aber mit Stehkragenhemd und knallroter Fliege. Ein schöner Mann. Überhaupt gibt es viele schöne, elegante Menschen um uns herum. Gottseidank aber auch das Gegenteil. Wir fühlen uns sauwohl in der Mitte.

 

Die Bühne ist bis auf einen großen Doppelkran und merkwürdige schwarze Plastiksäcke auf den Stufen leer. Sollten hier nicht Pyramiden stehen? Merkwürdig. Es ist noch hell, ein laues Lüftchen geht. Bis auf das dumpfe Grollen unserer Mägen (zur Erinnerung: seit dem Frühstück ohne feste Nahrung) geht es uns fantastisch. Wir sind gespannt wie Pennäler vor der ersten Schulaufführung. Statisten kommen auf die Bühne, in ägyptisch anmutende Kleidung gehüllt. Einige in Safarianzügen. Ganz geschäftig wuseln sie auf der Bühne rum. Irgendwann begreifen wir, dass sie Szenen einer archäologischen Expedition darstellen. Quasi als Vorgruppe zum Haupt-Act. Das ist witzig. Es laufen ganz viele verschiedene Szenen gleichzeitig ab. Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Auf der riesigen Bühne geht es richtig ab. Dabei bauen sie auch ein Bühnenbild auf: Sie „graben“ Statuen aus, Steinblöcke mit Hieroglyphen drauf, bauen sie zusammen und ein Archäologe versucht, die Inschrift zu entziffern. Man sieht zwei monumentale Stein-Köpfe, innig aneinander geschmiegt. Offenbar ein Liebespaar. Die Statuen werden auseinander genommen, in Kisten mit der Aufschrift „British Museum“ verpackt.

 

Während der letzten Szenen ist es dämmrig geworden, das Orchester hat Platz genommen und die Ouvertüre erklingt. Plötzlich steht Radames, der ägyptische Feldherr, der die äthiopische Sklavin Aida liebt, auf der Bühne und legt los. Das Spiel beginnt. Ich bin enttäuscht. Die Stimme kommt dünn und leise zu uns rüber, das Orchester ist nicht transparent zu hören, die leisen Streicher sind kaum da. Dabei wird die Akustik der Arena doch so gelobt! Und die Bühne ist immer noch leer. Das ist alles irgendwie verstörend. Gottseidank ist die Aida stimmgewaltiger. Überhaupt kommen die weiblichen Stimmen besser, klarer rüber. Auch der riesige Chor ist in seinem Stimmenumfang ergreifend. Irgendwann hat sich auch das Gehör an die Akustik gewöhnt und ich bin zufrieden. Während einer Arie bewegen sich plötzlich die schwarzen Würste auf den Arenastufen und es entfalten sich gewaltige Wüstendünen. Eine geschickte Beleuchtung zaubert daraus eine äthiopische Wüstenlandschaft, die Bühne lebt plötzlich, überall kommen Statisten hervor, spielen das äthiopische Volk. Wir sind gebannt und verzaubert.

 

Ich erinnere mich an meinen ersten Cinemascope-Film, im ersten Breitwandkino in Frankfurt. Es lief ein Western und man musste den Kopf von ganz weit links nach ganz weit rechts drehen, um den Reitern zu folgen, die da über die Leinwand ritten. Das war eine ganz neue Seh-Erfahrung und gab einem das Gefühl, mittendrin zu sein im Geschehen. Genauso war das jetzt hier in der Arena. Rechts liefen andere Szenen ab als links und in der Mitte agierten die Solisten. Die Mimik und Gestik von Opernstars ist ja begrenzt. Sie laufen wenige Schritte auf und ab, breiten die Arme aus oder reißen sie theatralisch an die Brust. Dabei schauen sie meist ins Publikum, selten zum Spielpartner. Das gibt optisch nicht viel her. Und wenn man dann auch nicht versteht, was sie singen, wird es mitunter ganz schön langweilig. Nicht so hier in der Arena. Immer ist irgendwo etwas los. Soldaten in futuristischen Phantasieuniformen geben sowohl die ägyptische Armee als auch die Bühnenarbeiter, die dauern etwas auf- und umbauen. Sie haben blinkende Lichter an ihren Kleidern. Es blitzt und funkelt. Überhaupt wird viel mit Licht gespielt. Ein riesiger leuchtender Ballon schwebt als Mond über der Bühne. Wir haben nicht zu sehenden, zunehmenden Mond. Einen Moment überlege ich, wie das wohl in ein paar Tagen aussieht, wenn ein zweiter, kleinerer Vollmond neben dem großen über der Arena schwebt.

 

In den Pausen gockelt man herum. Ciao hier, Küsschen dort. Man kennt sich, zeigt, dass man dazu gehört, das man auch da ist. Überall wird mit den Smartphones irgendetwas weltbewegend Belangloses hinaus gezwitschert. Überhaupt nerven diese Smartphones. Währende der Vorstellung blitzen ständig irgendwo Monitore auf. Da wird gefilmt und fotografiert wie verrückt. Dabei sind die Aufnahmen mehr als dürftig. Und die Blitze, die verbotenerweise dennoch verwendet werden, reichen ja eh nur zwei Meter weit. Es gibt sogar Leute, die fotografieren mit DIN-A-4-großen Tabletts und schauen danach auch noch nach, ob die Aufnahme was geworden ist.

 

Dann kommt der berühmte zweite Akt mit dem Triumphmarsch. Wie es scheint, die einzige Szene, wegen der die Menschen hier herkommen. Man kennt das von Erzählungen oder von Fotos und Videos: Menschenmassen in glitzernden Roben defilieren vor dem Ägyptischen König und präsentieren die Schätze, die sie den Äthiopiern abgenommen haben. Da sind dann auch Tiere dabei, Elefanten, Löwen, Dromedare. Irgendwie haben wir das auch erwartet. Aber diesmal kommt alles anders: Die Tiere sind riesige, bewegliche Gerüste wie aus einem Technikbaukasten, die Streitwagen sind Segway-ähnliche Elektrokarren. Es werden Fässer hineingerollt, die denen mit Atommüll ähneln, Kisten auf denen „requisizione“ steht. Kinder in Ketten, geknechtete Gefangene, mit Peitschen in Zaum gehalten. Und große, glitzernde Quader, die an Edelsteine erinnern (und noch eine große Rolle spielen werden). Eine sehr moderne Form des Triumphzuges. Zuerst war ich enttäuscht. Eine Italienerin vor uns drehte sich in der Pause um und fragte, wie es uns gefalle. „We miss the animals!“ war unsere Antwort und die Dame nickte bestätigend. Aber ich habe mir noch einmal Videos vergangener Aufführungen angeschaut. Das ist dämliches Disneyland. Dümmlich auf ägyptisch gekleidete Komparsinnen tanzen wie Tanzmariechen im Karneval. Das ist irgendwie antiquiert. Und denkt man an die Tiere, denen das kaum so gefallen haben wird wie dem Publikum, ist man froh, eine moderne Interpretation geboten zu bekommen. So wie La Fura dels Baus das gemacht haben, ist es schon gut. Sehr beindruckend alles. Natürlich auch durch die Hunderte von Komparsen, die da plötzlich alle auf der Bühne stehen.

 

Im Laufe des Abends werden im Hintergrund die „erbeuteten“ Quader mittels der Doppelkräne in der Bühnenmitte aufeinander geschichtet und ergeben ein riesiges, kreuzförmiges Gewölbe, das im Licht der Scheinwerder glitzert und die Protagonisten auf der Bühne tausendfach in seinen Facetten widerspiegelt. Ein tolles, beeindruckendes Bühnenbild. Im dritten Akt wird die Bühne geflutet, ein Statist kurbelt wie wild an einer Seilwinde und zieht ein Boot über den Nil, Krokodile kriechen durch das Nass. Radames verrät sein Volk und links am Bühnenrand wird ein Krokodil gegrillt. Komparsen halten überdimensionale Palmwedel, die sich dramatisch im Wind bewegen. Darüber wieder der riesige Mond und das glitzernde Gewölbe, das sich unaufhaltsam nach unten neigt und zum Schluss Aida und ihren Liebhaber unter sich begräbt. Verhaltener Applaus brandet auf. Viele Leute sind schon im Gehen begriffen. Da sind wohl Einige enttäuscht über die moderne Inszenierung. Später lesen wir harsche Kritiken: „Desaster am Nil“ nennt es ein österreichischer Kommentator. Wir fanden es einfach toll, mit unserem banausischen Opernverstand. Es war ein einmaliges Erlebnis. Davon werden wir noch unseren Enkeln erzählen.

 

Doch vorher galt es, zurück zum Shuttles zu gelangen. Was angesichts des flauen Gefühls in unseren Mägen und den Menschenmassen auf der Piazza nicht so einfach war. Alle Cafés hatten natürlich trotz der frühen Stunde (halb zwei) noch geöffnet und boten Post-Opera-Snacks an. Ein Blick auf die Preise und die restlos besetzten Tische ließen uns auf eine noch offene Imbissbude hoffen, aber selbst McDonalds hatte schon geschlossen. So sind wir erschöpft, müde, aber sehr glücklich im Hotel ins Bett gefallen, mit der Hoffnung auf ein reichhaltiges Frühstück. Waren wir gestern zu spät zum Frühstück erschienen und glaubten, es mit den Resten zu tun zu haben, wurden wir heute Morgen darüber belehrt, dass das Buffet offenbar immer so dürftig ausfällt. Gut, die Italiener legen nicht so viel Wert aufs Frühstücken, aber von einem 4-Sterne-Laden kann man mehr erwarten. Nicht mal gekochte Eier gab es. Die Krönung aber war das Rührei. Bröckelig wie ein alter Käsekuchen und mit penetrantem Pasteurisierungsgeschmack – ekelhaft. Ich hab es trotzdem runtergewürgt. Der Hunger hat’s reingetrieben.

 

Auf der Rückfahrt wollte die Liebste lieber über Landstraße fahren und bella italia gucken. Da lag der Gardasee gerade richtig und das herrliche Sommerwetter lud geradezu dazu ein, diesen Abstecher zu machen. Kaum waren wir am See angekommen, schlief die Liebste friedlich neben mir und verpasste die tolle Urlaubsstimmung, die das Seepanorama ausstrahlte. Ich war allerdings auch zu müde, um außer dem Verkehr noch etwas Anderem Aufmerksamkeit zu schenken. Zum Schluss noch ein fetter Stau auf der Brennerautobahn, die uns wieder auf die alte Brennerstraße zwang, was zwar wiederum wunderschön, aber leider auch ebenso anstrengend war. Die Liebste verschlief es sowieso. Österreich ließ uns noch eine Tiroler McDonalds-Filiale testen und für mies empfinden. Wie wollten einfach nur nach Hause. Ich bin an diesem Abend gleich wie tot ins Bett gefallen. Die Träume aber waren genauso schön wie die vergangenen Tage. Noch einmal durfte ich mit meiner attraktiven Frau dieses Schaulaufen erfahren. Ich war Radames und die Liebste Aida. Aber im Gegensatz zur Oper ging es gut aus. Als passendes i-Tüpfelchen übertrug noch das ZDF am Sonntag genau diese Premiere, wir waren sogar kurz mit im Bild. Daher auch die Begegnung mit Nina Eichinger und Roberto Villanzon, die das Ganze moderierten. Sehr interessant, die Szenen auch noch einmal aus dieser Perspektive zu erleben. Da stimmte dann auch die Akustik und deutsche Untertitel ließen die Story noch besser verstehen. Das war dann der krönende Abschluss dieses tollen Wochenendes.

 

Jetzt müssen wir aufpassen, dass wir nicht in ein kulturelles Loch fallen. Etwas Kontrast täte gut. Vielleicht ein AC/DC-Konzert in der Royal-Albert-Hall. Mal sehen. Wir haben gemeinsam noch viel vor …