Highway to and from hell

Bei der Anfahrt haben wir noch gescherzt: We’re on the highway to hell! AC/DC – wir kommen! Auf der A6, von Frankfurt kommend, war das Ziel der Hockenheimring, auf dem an diesem Samstag, den 16. Mai 2015 eines der wenigen Deutschland Konzerte der Kultband von Downunder stattfinden sollte. 100.000 Karten waren verkauft worden, da machte es schon Sinn möglichst frühzeitig zu kommen. Einlass war um 14 Uhr, wir wollten so zwischen 2 und 3 dort sein. Es lies sich gut an. Die erste Abfahrt zum Ring war zwar schon gesperrt, aber die nächste war noch frei. Mit Stau zwar, aber immerhin ging es zügig weiter. Wir wollten bei McD noch eine Pinkelpause einlegen und verpassten so die Auffahrt zum nahgelegen Parkplatz. Bei der Fahrt vom McD-Parkplatz runter (etwas kompliziert durch ein Industriegebiet) verfranzten wir uns etwas (keinerlei Hinweisschilder auf den nächsten Parkplatz) und landeten irgendwie wieder auf der Autobahn Richtung Mannheim. Nicht weiter tragisch, da die nächste Abfahrt uns direkt zu P5 führte. Von dort ging aber kein Shuttlebus. Und da ich zurzeit einen bösen Hüftschaden habe, wollten wir uns keine lange Laufstrecke zumuten. Also kehrten wir um und fuhren wieder den ersten Parkplatz an, C9, am entgegengesetzten Ende der Stadt. Kein Problem, denn von dort fuhr ein Shuttle zum Ring. Dachten wir zumindest.

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Der knallvolle Bus mit bestens gelauntem Fahrer (er offerierte dauernd Würstchen vom Grill) kurvte durch die halbe Stadt und hielt dann mitten in einem Wohngebiet. Mit den Worten: „Da drübe is der Ring, net weit!“ wurden wir dort rausgeworfen und liefen nun der Herde nach. Verlaufen hätten wir uns nicht können, es ging nämlich an schmucken Reihenhäusern und Villen vorbei, deren Bewohner die Gunst der Stunde nutzten und Getränke verkauften. Offenbar ist dieser Weg nicht das erste Mal zum Laufsteg zum Ring geworden, denn die Verkaufsstände sahen nicht gerade improvisiert aus. Hier verdient sich so mancher einen guten Teil der Hypotheken.

Vorbei ging es am P2, der im übrigen völlig leer war. Hätte man uns hierher gelotst, wäre der Shuttle überflüssig gewesen. Dann ging es über eine Straße auf den Zufahrtsweg zum Ring, unter einer Unterführung durch. Und schon waren wir da. Dachten wir. Die bisher gelaufene Strecke (gut 3 km) war aber erst der Anfang vom Horrormarsch gewesen. Denn nun führte der Weg um die komplette Nord- und Hauptribüne herum, vorbei an Campingplätzen mit lustigen Campern, die ein Füttern-verboten-Schild an den Zaun gepinnt hatten. Das Lachen blieb uns aber im Hals stecken, denn hier an der Haupttribüne war der Marsch noch lange nicht zu Ende. Weiter ging es an den Südtribünen vorbei, bis in Höhe der Südkurve endlich der erste Einlass erreicht war. Es ist eigentlich völlig unverständlich, warum die Shuttlebusse nicht bis dorthin gefahren sind. Denn dort wäre genug Platz gewesen.

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Wer nun dachte, er könne jetzt von hier direkt aufs Gelände, wurde ziemlich enttäuscht. Weiter trabte die Horde um das Gelände herum auf die Nordseite. Beim Anfang der Innentribühnen war dann die zweite Einlasskontrolle. Hier spielten sich wahre Dramen ab. Denn es hieß, alle Flaschen oder sonstigen Proviant abliefern, auf dass der Profit der Veranstalter noch weiter gesteigert würde, denn die Verpflegungskosten drinnen waren exorbitant. Aber davon später … Auch Sitzkissen wurden konfisziert und harmlose Kameras, die eine gewisse Größe überstiegen. Da hier nicht im Vorfeld klar geregelt war, was noch als Handkamera und was als Profikamera durchgeht, wechselten auch schon kleine, teure Micro-Four-Third-Geräte unfreiwillig ihren Besitzer!

Weiter ging es an den Innentribünen vorbei, rund um das Festival-Gelände herum. Der Strom der Fans riss nicht ab. Aber durch die frühe Einlasszeit entzerrten sich die Massen. Es ging entspannt und fröhlich zu. Nicht so bei uns Lendenlahmen. Mehrfach kamen Überlegungen auf umzudrehen. Dabei erging es nicht nur uns so. Bei einem Konzert einer Band, die in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erstmals Furore gemacht hat, war es klar, dass etliche Senioren sich die Show nicht nehmen lassen würden.

Endlich dann der Eingang aufs Gelände. Um Viertel vor 3 waren wir auf dem Parkplatz angekommen. Jetzt war es kurz vor 5! Gute zwei Stunden Wandern um den Ring herum! Das Gelände war in drei Zonen aufgeteilt. Ganz vorne ein Areal, dann dahinter ein größeres und der Raum zwischen Innenraum und Tribünen, wo auch die Catering-Stände zur Abzocke bereitstanden. Es waren Armbändchen ausgegeben worden. Die im vorderen Raum Stehenden bekamen ein weißes, die im zweiten Raum ein blaues. Als wir kamen gab es keine Bändchen mehr. Mit anderen Worten: Für unsere 100 Euro Eintritt hätten wir dem Konzert an den Seiten bei den Bierbuden oder ganz weit hinten an den Tribünen lauschen dürfen! Dabei waren noch genügend Bändchen vorhanden. Diese wurden aber von den „Türstehern“ nur noch an diejenigen abgegeben, die noch kein Bändchen hatten und den Raum vor der Bühne verlassen wollten. Gottseidank gelang es unseren Kids, die schon am Vormittag angereist waren, die Security von meiner lahmen Hüfte zu überzeugen und der Charme meiner Tochter gab den Ausschlag: Wir bekamen weiße Bändchen.

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Nachdem wir uns bis ca. 30 Meter links vor die Bühne vorgearbeitet hatten, wo der Rest der Familie stand, waren wir sanatoriumsreif. Die Bühne war kaum zu sehen. Kleinere Menschen sahen gar nichts. Da blieb nur der Blick auf die Videowände. Das Publikum war gut drauf, die Stimmung allerdings mitunter fragwürdig, da links von uns fröhlich das Horst-Wessel-Lied und anderer rechter Dreck aus vollen (bitte wörtlich nehmen) Kehlen gesungen wurde. Dagegen kam Atemlos-durch-die-Nacht von rechts kaum an. Auch macht es wenig Spaß, wenn Besoffene nicht umfallen können, weil alle so gedrängt stehen. Wundersamerweise kamen durch das Gedränge immer wieder Bierverkäufer durch. Der halbe Liter für 5 Euro! Plus Pfand für den Becher natürlich. Nach den Strapazen der Anreise und bei dem Wetter hast du Durst ohne Ende. Da zahlst du jeden Preis! Aber warum muss es nur Bier sein? Man kann doch auch alkoholfrei Getränke überteuert verkaufen? Und du kalkulierst, wie viel Fassungsvermögen deine Blase hat. Denn deinen Platz willst du nicht wegen Kloganges verlieren. Ein Problem übrigens, das viele meiner Geschlechtsgenossen nicht als solches erkannten und fröhlich überall hin pissten. Mir tut das Personal leid, dass z.B. die vollgepissten Trennwände abbauen muss. Die durchaus zahlreich vorhandenen Dixie-Klos waren übrigens meist voll bis Oberkante Sitzplatz, und darüber hinaus.

Angekündigt war eine D-Jane vom Metallhammer Magazin. Nun ja, zu verstehen war eh nix, zu sehen auch wenig, lassen wir das mal so durchgehen. Dann die Vorgruppe Vintage Trouble (der Name passte wenigsten zu einem Teil des Publikums, er sprach mich irgendwie an). Mieser Sound hat vermutlich den Reiz deren Musikstils zunichte gemacht. Passte irgendwie nicht hierher. Immerhin war der Sänger eine Augenweide, der wie eine Inkarnation von James Brown über die Videowand hüpfte und begeistert umher kreischte. Ich verstehe nicht, warum man nicht regionalen Gruppen die Chance gibt, sich ein bisschen Ruhm und Kohle zu verdienen. Es gibt so tolle Bands, die auch stilistisch besser gepasst hätten. Haben die alten Säcke etwa Angst, dass man ihnen die Show stiehlt?

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Das wäre unbegründet gewesen. Denn was AC/DC da boten war einfach der Hammer. Als die ersten Videobilder von Astronauten über die Videowalls flimmern sind alle Unbillen vergessen. In einem genialen Intro entdecken Astronauten ein meteoritenähnliches Gebilde, das sich exsplosionsartig auf den Weg zur Erde macht, um endlich in einem riesigen Feuerball auf der Bühne einzuschlagen. Die bekannte Bühnendeko spuckt Feuer und Rauch, Blitze zucken und der Rocknroll-Zug setzt sich in Bewegung. Rock or bust, die erste Nummer vom neuesten Album ist der Opener. Und er fetzt rein, wie das nur AC/DC kann. Gelegentlich kann ich ein paar der Heroes auf der Bühne ausmachen. Wäre da nicht die Videowand direkt vor uns, es wäre ein Blind Concert. Aber das ist jetzt auch egal. Nach fast vierzig Jahren bin ich bei einer meiner Lieblingsbands! Der Sound ist Scheiße, fast nur durch Wortfetzen erkenne ich die Songs. Meine Hörgeräte hab ich abgestelt. Den frühen Konzerten von Deep Purple, Rory Gallagher und Ten Years After habe ich sie zu verdanken. Jetzt bräuchte ein Toter sie nicht mehr. Es ist tierisch laut. Viele tragen Ohropax. Ich nicht. Ist eh zu spät dafür. Die Show also der Hammer! Zwei Jahre älter bin ich als Angus Young. Was der da auf der Bühne losmacht, hab ich nicht als 26-jähriger geschafft! Unglaublich! Die langen Pausen zwischen den Titeln lassen aber darauf schließen, dass hier hochkonzentrierter Sauerstoff oder sonstige Mittelchen zwischendrin genommen werden. Diese Pausen trüben den Ablauf auch ein bisschen, die Spontaneität geht kaputt. Auch stört uns, dass da kaum Interaktion mit dem Publikum stattfindet. Keine Begrüßung, und wenn sie noch so enthusiastisch geheuchelt wäre. Schade. Sie liefern ab, was erwartet wird. Aber eben auch nicht mehr. Zwei Stunden mit genau kalkulierter Zugabe dauert das Feuerwerk ihrer Hits und endet auch mit einem. Ein grandioser Abschluss eines tollen Konzerts. Und dann, um 22:45 Uhr beginnt die Hölle 2.0!

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Wo am Anfang 100.00 Menschen stundenlang Zeit haben zu kommen, wollen nun 100.00 Menschen auf einmal nach Hause! Jetzt hätte man vielleicht erwarten können, dass man die Fluchtwege aufmacht oder sonstwie mehrere Ausgänge anbietet. Aber nein: So wie rein, so auch raus! Ein einziger Ausgang! Ich will mir nicht vorstellen, was passiert, wenn jetzt eine Panik ausbricht! Das Gedränge ist schlimm! Wer jetzt den genialen Einfall hat, zu warten, bis sich die Mehrheit verzogen hat und noch ein Bierchen zischen will, hat schlechte Karten: die meisten Cateringstände sind geschlossen. Irgendwie hat das den Charme eines Rauswurfs.

Mir wird klar, dass ich den ganzen Rückweg um das Gelände herum nicht mehr schaffen werde. Die Hüfte protestiert lautstark. Wir fragen einen Security-Typen nach der Möglichkeit, ein Taxi zu bekommen. Der Mann ist nett (wie übrigens alle Securityleute), hilfreich und versucht, uns über Funk eine Auskunft von seinem Leitstand einzuholen. Das klappt aber nicht. Er bietet uns an, bei den Tribünen rauszugehen. Dort hat mittlerweile eine vernünftige Security-Mitarbeiterin einen Zaun geöffnet. Hier kann man auf die Tribüne rauf und auf der anderen Seite wieder runter. So stehen wir dann vor der Südtribüne C2 und hoffen dort, ein Taxi zu bekommen. Schnell wird klar: Das hoffen Tausende andere auch. Und es gibt auch gar keine Möglichkeit für Taxen, an das Gelände heran zu kommen. Alle Straßen sind zur Einbahn umgewidmet worden und führen vom Ring weg. Also zum nächsten Shuttle laufen. Aber wo ist der? Wieder um das ganze Gelände herum, durch die Wohnsiedlung durch? Never! Wir beschließen, zum nahegelegenen P6 zu gelangen, um dort unser Taxiglück zu versuchen. Ein guter Entschluss. Denn wie wir später hören, gibt es bei der Unterführung panisches Gedränge. Loveparade lässt grüßen! Gelernt haben die Verantwortlichen offenbar gar nichts.

Auf dem Weg begegnen uns Polizisten, die den Verkehr überwachen (aber nicht regeln!). Mein Sohn hatte Anfang des Jahres einen schweren Beinbruch und das frisch verheilte Bein protestiert nun auch gegen den Gewaltmarsch. Zu allem Überfluss plagte ihn schon den ganzen Tag ein nervöser Darm. Also fragt mein Sohn verzweifelt die Polizisten nach einer Taximöglichkeit. Die winken ab, erkennen aber die Situation und wollen uns ein Krankenfahrzeug organisieren. Da kommt ein Feuerwehrmannschaftswagen der örtlichen freiwilligen Feuerwehr vorbei. Kurzerhand halten die Polizisten den Wagen an und bitten die Kollegen, uns zum nächsten Parkplatz mitzunehmen. Erfreut sind die nicht gerade, sie haben Schichtende und wollen auch nur ins Bett, aber sie nehmen uns mit! Was für ein Glück! Wir fahren Meter für Meter durch die total blockierte Stadt. Ein einziger Stau! Und wir sehen von unseren bequemen Plätzen die armen Konzertbesucher völlig fertig durch die Nacht taumeln, ihren Autos entgegen. In der Nähe unseres Parkplatzes (wie wir glauben) lässt uns die Feuerwehr aussteigen. Ich kann keine drei Schritte mehr gehen und erreiche mit letzter Kraft einen total überfüllten McD, wo die Schlange aus dem Klo bis auf die Straße reicht, eben so wie die Scheiße aus den überforderten Kloschüsseln. Übrigens sind die Mitarbeiter/innen bei McD dem Chaos absolut gewachsen. Freundlich, höflich, geduldig bedienen sie sich einen Wolf. Chapeau! Das ist richtig Klasse!

Die Liebste und mein Sohn wollen die paar Schritte zum Parkplatz laufen. Das ist so gegen halb eins. Nach einer halben Stunde melden sie sich. Der Parkplatz war noch drei Kilometer entfernt gewesen. Nun sind sie dort, aber alles ist verstopft. Die einzige Ausfahrt ist komplett überlastet und die Einfahrt, zu der ja nun niemand mehr reinkommt, gesperrt. Ich gedulde mich und ordere den dritten BigMac. Dann kommen viertelstündlich die Durchhalteparolen vom Parkplatz. Es geht keinen Meter voran. Die Ärmsten. Ich sitze hier beim vierten BigMac und sie haben nicht mal was zu trinken im Auto. Irgendwann gegen drei Uhr morgens macht die Polizei die Einfahrt auf und sie kommen mich endlich abholen. Um 3:15 sind wir auf dem Heimweg, um kurz vor 5 im Bett! Meine Tochter nebst Anhang waren übrigens per Bahn und Flixbus von Gießen aus via Frankfurt und Mannheim nach Hockenheim angereist. Um den letzten Zug nach Mannheim zu bekommen mussten sie den ganzen Weg zurück rennen. Der Zug war überfüllt, es gab tumultartige, hässliche Szenen, verspätete Abfahrt und dadurch gefährdeter Anschluss an den Bus. Fazit: Ein total geiles Konzert – aber nie, nie, niemals wieder! Jedenfalls nicht auf dem Hockenheimring und ganz sicher nicht mehr auf Konzerten des Veranstalters United Promoters!