Gänsehaut

Eine Folklegende zwei Meter vor uns. An evening with Joan Baez. Die Frau ist in den letzten 50 Jahren nicht eine Sekunde älter geworden (fast wie bei uns!). Nur schöner. Ihre Stimme und die ganze siebzigjährige Frau. In sexy hautengen Jeans. Und dann die ganzen alten Hits. Fehlte nur das Lagerfeuer. Dafür hatte sie ein riesiges Sofa auf der Bühne. Ihre Bigband (1 Percussionist und ein Banjo/Gitarre/Geige/Klavier-Allrounder) und sie ruhten sich gelassen darauf aus, wenn sie nicht gerade dran waren. Dazwischen präsentierte Joan ganz mutig und souverän als sogenannten Supporting Act eine neue Jahrhundertstimme: Marianne Aya Omac, die unglaubliche Geräusche aus ihren Lippen kommen lassen kann. Dagegen kackt Joan natürlich ab. Ihre Stimme ist aber reifer geworden, in den Höhen nicht mehr so kieksig. Dem Publikum wars nur recht. So manchem standen die Tränen in den Augen. Zum Schluss standing ovations. Wow! Was für ein schöner Abend!

Das iPhone ist natürlich nicht die richtige Kamera für sowas

Happy birthday, Greatest!

13 war ich, bin um 4 Uhr aufgestanden, hab mich aus dem Haus geschlichen und bin mit dem Fahrrad zur nahen Rennbahn in Frankfurt-Niederrad gefahren. Muhammad Ali sollte dort trainieren für seinen Weltmeisterschaftskampf gegen Karl Mildenberger am 10.9.1966. Es war lausig kalt und niemand zu sehen. Enttäuscht wollte ich schon wieder fahren, als ich am Horizont drei oder vier Menschen sah, die dort auf der Pferderennbahn entlang rannten. Schnell kamen sie näher, Dampfwölkchen vor den Gesichtern. Alle hatten Kapuzen-Sweater an und ich konnte nicht erkennen, wer Ali war.

Ich hatte einen Freund dabei und wir waren die einzigen Zuschauer. Ali sah uns und kam auf uns zu getrabt. Seine Begleiter blieben, wo sie waren. Heute undenkbar! Ich hatte alle meine Englischkenntnisse zusammengesucht für einen Spruch. Ali sprach mich an. Ich verstand kein Wort und verfluchte mich, dass ich in der Schule nicht besser gewesen war. Ich kramte einen Zettel raus und einen Kuli, reichte ihn schüchtern dem Größten und brachte immerhin ein „P-p-p-please!“ raus. Ali lachte, rief irgend etwas seinen Begleitern zu. Die lachten auch und wir kamen uns unglaublich blöd vor.

Zum Abschied tätschelte Ali meinen Kopf, rief noch was wie „… boy!“ oder „bye!“ und entschwand mit seinen Jungs im Morgennebel. Wir zitterten, ob vor Kälte oder Ergriffenheit, ich weiß es nicht mehr. Stumm fuhren wir Heim. Wir konnten es selber nicht glauben: Wir hatten den Größten getroffen! Den Zettel mit seiner Unterschrift habe ich immer noch.

 

41 Jahre sind genug!

1970 habe ich Joe Cocker zum ersten Mal gesehen, fast live. Im Woodstock-Film. Und mir war damals schon klar, dass du den niemals wirst live erleben können. So einer würde nie nach Germany kommen. Im Film faszinierten mich seine blauen Wildleder-Boots mit silbernen Sternen drauf. Die hätte ich auch gerne gehabt.

Ein paar Jahre später fand ich solche Boots auf der Portobello Road in London und schlug zu. Mein ganzes Erspartes ging drauf. Die Schuhe hielten ein paar Wochen, dann fielen sie auseinander. Immerhin kam Cocker nun auch nach Deutschland, aber ich konnte es mir, der Schuhe wegen, nicht mehr leisten. Und noch später, als ich es mir hätte leisten können, konnte er nicht mehr kommen. Der Alkohol hatte ihn buchstäblich  von der Bühne geholt. Dann fing er sich wieder und hatte in furioses Comeback. Nun setzte ich alles daran, ihn einmal zu sehen. Aber der Terminteufel oder die zu schnell ausverkauften Konzerte wollten es nicht.

Nun, 41 Jahre danach hatte mir mein Schatz die Karte geschenkt. Was hab ich mich auf dieses Konzert gefreut. Und gleichzeitig war ich enttäuscht. Denn die letzten Alben waren nicht so toll, wie ich ihn liebe. Gut, es gab immer wieder diese Ohrwürmer: You can leave your hat on, N’ublier jamaiz, so etwas. Für mich war Cocker immer der Cocker von seinem ersten Album gewesen: Maddogs and Englishmen. Mit dem unvergleichlichen „With a little help…“ Das neueste Album ist so gar nichts. Und alt war er eben geworden. Wie ich. Was sollte das also für ein Konzert werden? Die Demontage einer Legende?

Die äußeren Anzeichen verhießen nichts Gutes: Regen war angesagt, kalt war es und das ganze im Freien, unbestuhlt. Das wiederum hieß, frühzeitig da sein, damit man einen guten Platz bekommt. Und das bedeutet lange rumstehen. Zu allem Überfluß dann eine Vorgruppe aus München, die sich alle Mühe gab, aber gegen den Regenfrust chancenlos war. Die Hoffnung, gleich danach käme der Meister, verflog, als nun erst mal die HR1 Band des Jahres angekündigt wurde. Eine 80er-Coverband. Die waren schon sehr gut, zugegeben, aber ich war so sauer, noch eine weitere Stunde rumstehen zu müssen. Höre ich ansonsten diese Musik ganz gerne (und HR1 ist sowieso mein Stammsender), ging sie mir diesmal einfach auf die Nerven. Es regnete Bindfäden, ich fror und die Füße taten weh. Der Abend schien gelaufen.

Und dann kam er! Ganz unspektakulär. Erst seine Band, eine leckere (Originalton der Liebsten) Truppe mit rassiger Bassistin und zwei sexy Background-Sängerinnen. Erste Lichtblicke. Und der Regen hörte auf. Dann legte Joe Cocker los, als seien keine 42 Jahre seit Woodstock vergangen. Und das schönste: Ganz viel Songs aus der Anfangszeit. Die Band authentisch, bester Sound, Woodstock-Feeling kam auf. Joes Stimme natürlich schon alterslädiert, aber bei weitem nicht so, dass es gestört hätte. Einfach ein bisschen rauher und manche Töne wollen nicht mehr rauskommen, egal, wie er sich auch sichtbar anstrengt.

Hit auf Hit wird abgeliefert. Genau das war es. Bestellt und geliefert. Nicht ein Wort der Begrüßung, kein Geschäker mit dem Publikum. Ein einziges „Danke schön“ und die Vorstellung der Band, das war’s. Ein bisschen arrogant kommt das schon rüber. Aber was soll’s. Cocker live! Regen? Scheiß drauf, der Alte ist geil und bringt es noch. Nur der Titelsong seines neuen Albums, ansonsten nur alte Hits. Es hätte stundenlang so weiter gehen können. Aber nur eineinhalb Stunden waren es dann, inkl. Zugabe. Na gut, zollen wir seinem Alter Respekt. Und unsere Knochen machten sich ja auch bemerkbar. Vier Stunden rumstehen ist einfach zuviel.

Wieder eine Legende erlebt. Nun bleiben noch AC/DC, ZZ Top, McCartney und die Stones. Mal sehen, vielleicht schaffen wir es noch.

Goisern geil in Gießen

Mit Masja beim Goiserer gewesen, droben, auf’m Schiffenberg. Gottseidank Karten in der zweiten Reihe gehabt. Ein paar Reihen weiter hinter waren Sicht und vor allem der Sound einfach ungenügend. So saßen die Schläge der Drums und der druckvolle Baß wo sie hingehören: Tief unten im Unterleib. Einfach geile Mukke! Blöd, dass es bestuhlt war. Es zuckte in allen Beinen zum Mittanzen und die Saukälte hätte es auch vertrieben. Hubert von Goisern machte sich lustig über das fröstelnde Publikum, rieb sich aber selber die klammen Finger. Immerhin konnte er sich warmhüpfen und tat das auch ausgiebig.

Ein bisschen war es auch eine kleine Geburtstagsfeier für Brigitte, der ein Konzert mit Goisern nicht mehr vergönnt war, und die an diesen Samstag 56 Jahre alt geworden wäre. Bestimmt hat sie da oben mitgesungen: „Heast es net, wia die Zeit vergeht …“

Ich bin so wild nach deinem Erdbeer-Ohr!

„Zwei Erdbeer’n im Haar und an der Hüfte Bananen
Trägt Karin seit heut zu einem Kokosnußkleid
Ja sicher noch dieses Jahr, das kann man heute schon ahnen
Trägt die modische Welt, das was Karin gefällt“

Die neueste Version von France Galls Schlager aus den 6oern zeigt, wo’s lang geht: Schluss mit langweiligem Ohrgehänge! Jetzt gibt’s jeden Tag einen Ohr-gasmus! Oder auch zwei. Guckt ihr hier: www.ohr-gasmus.de


Endstation Pasta

„Der Mensch fliegt auf den Mond, aber einen gescheiten Dosenöffner hat er noch nicht erfunden.“

Arthur werkelt in seiner Küche rum und philosophiert über das Leben und die Küche. „Endstation Pasta“ heißt das Stück für eine Person. Und die spielt Markus Karger vom Theater ohne doppelten Boden (TheodoBo). Die Rolle ist ihm auf seinen gewaltigen Leib geschrieben: Arthur ist ein introvertierter, gescheiterter Haarwasserverkäufer. Er wartet auf seine Freundin und kocht ihr Spaghetti Bolognese. Zunächst doziert er über die korrekte Zubereitung und bereitet das Gericht tatsächlich vor den Zuschauern zu. Er weiß viel über die richtigen Zutaten zu berichten. Was er halt so von seiner Mutter und den Fernsehköchen gelernt hat. Dabei kommt er ins Schwärmen: Er erzählt von seiner Karriere im Haarwassergeschäft, triftet aber bald ab in Träumereien von Verkaufserfolgen und Heldentaten, in denen er der Damenwelt imponiert. Er verwandelt sich in einen eloquenten Franzosen, charmiert mit einer jungen Frau und rettet schließlich eine Angebetete aus einem abstürzenden Flugzeug über dem Dschungel, reitet mit ihr auf Kamelen durch Timbuktu und verjagt dort erfolgreich mit giftigen Pfeilen bewaffnete Einwohner in ihr Tipi. Der schüchterne Koch Arthur verwandelt sich in einem fort zu allen möglichen Figuren. Äußerst agil tobt er über die Bühne und tänzelt zu eigenen Gesängen wie eine Elfe. Der Höhepunkt ist für mich die Auferstehung von Marlon Brando als „Der Pate“, der den verwirrten Haarwasserverkäufer zu Drogengeschäften verführt und ihn mit seiner 14-jährigen Tochter verkuppeln will.

Markus Karger ist Arthur © TheodoBo

Das Stück von Jean-Michel Räber unter der Regie von Monika Fingerhut ist eine bunte Revue durch Kochtopf, Film und Leben. Und Markus Karger scheint der Einzige zu sein, der das spielen kann. Toll auch die Kulturwerkstatt Wölfersheim, in deren wunderbarem, kleinen Theater das aufgeführt wurde. Masja hatte meiner Liebsten (und somit mir, danke Töchterlein!) den Abend (inkl. italienischem Essen) zum Geburtstag geschenkt und voll in’s Schwarze getroffen. Die Liebste bekannte freimütig, noch nie im Leben Fan von irgendwas gewesen zu sein. Bis auf den heutigen Abend. Nun ist sie Markus Karger verfallen. Und ich bin wahrscheinlich nur noch 2. Besetzung. Ich werde ihr einen Starschnitt von Markus ins Schlafzimmer hängen.

Markus Karger kocht und schwadroniert

Frauenklischees oder die ungeschminkte Wahrheit?

„Ja früher! Früher war des noch eifach! Da war en Mann all des, was e Fraa net war! De Mann war stark, die Fraa schwächlich! Der Mann hat sich rasiert, die Fraa net! Die Fraa hat Kinner gekrieht, de Mann net! Un heut? Die Fraa krieht kei Kinner mehr, rasiert sich die Baa und is mitem Schlappschwanz verheirat! Da stimmt doch gar nix mie!”

Miss Vulkania der Herzen © TheodoBo

Urrsella Kraft aus Stockheim, die „Miss Vulkania der Herzen“ (Stockheim liegt am Fuß des erloschenen Vulkans Vogelsberg) zieht vom Leder, schwadroniert, wie ihr Wetterauer Schlappmaul gewachsen ist. Sie weiß Bescheid über die Rolle der Frau. Schließlich ist sie mit ihrem Ernst genug gestraft. Es ist ihr voller Ernst mit ihrer Meinung. Und wenn sie ihren Göttergatten so beim Saufen beobachtet, bekommt die Redewendung vom vollen Ernst eine ganz neue Bedeutung für sie. Ihre Fülle stört sie nicht die Bohne. Im Gegenteil: Fast schon grazil tänzelt sie über die Bühne, erzählt von ihren Erlebnissen bei den Landfrauen und dem Singkreis der Volkshochschule. Sie singt ihre liebsten Schlager und als sie das Publikum bittet, einen Finger zu heben, erkennt sie ganz viele Freiwillige für eine gemeinsame Aufführung des alten Schlagers vom Sonnenuntergang auf Capri. Im VHS-Kurs „Musizieren ohne Instrumente“ hat sie gelernt, wie man Mandolinen täuschend echt simuliert und übt dies mit dem Publikum ein. Frau Kraft singt aus vollen Kräften und dirigiert die Mandolinenschaar. Und die Leute kriegen vor Lachen kaum noch einen Ton raus.

Markus Karger ist Frau Kraft, wie sie (be)leibt und lebt. Eines von vielen herrlichen Frauenklischees, die das „Theater ohne doppelten Boden – Theodobo“ am Samstag zu besten gab. „Frauenklischees und Weibsbilder – Der alltägliche Wahnsinn von, mit und über Frauen“ heißt das Stück von Markus Karger. An seiner Seite Sylvia Oster, die die anderen Klischeeweiber gibt: Karrierefrau oder „Perlhuhn“. Sie zeigt uns Entspannungstechniken, die sie auf feministischen Seminaren gelernt hat: Wie man durch das dritte Auge ein- und durch die Füße wieder ausatmet. Ganz wie aus dem richtigen Leben: zum Brüllen komisch! Präsentiert von Gerd Ungermann, dem dritten in Theodobo-Bunde

Vor der Vorstellung im intimen Cafe im ehemaligen Pferdestall des Büdinger Schlosses zieht Sylvia Oster von Tisch zu Tisch. Sie ist Tilly, die Beauftragte der Verschönerungskommission der EU und möchte das Publikum ganz individuell bei der Bewältigung der dringlichsten körperlichen Probleme beraten. In der Liebsten und mir findet sie dankbare Opfer Objekte: Sie empfiehlt uns ein Vollbad in ihrer innovativen Lotion und zeigt uns eine Flasche Geschirrspüler mit neuer „Fettlöseformel“. Sehr witzig, Frau Tilly, sehr witzig!

An mir hat sie natürlich ein hervorragendes Opfer gefunden: Gleich zur ersten Nummer bittet sie mich, eine Hand zu erheben und nimmt dies als Meldung eines Freiwilligen, ihr auf die Bühne zu folgen. Dort setzt sie mich auf einen Stuhl, wickelt mich mit Noppenfolie ein und drückt mir ein Schild in die Hand: Adonis 3000. Die Frau hat Geschmack! Dann liest sie aus der Gebrauchsanleitung ihrer neuen Errungenschaft, dem Adonis 3000, vor. Wie unkompliziert und einfach er in der Haltung sei, wenn man nur ein paar Dinge beachten würde. In vielem konnte ich sie da nur bestätigen. Nur in einem nicht: dass ich IHR Adonis 3000 bin, sondern schon längst der geliebten Froschkönigin gehöre und lediglich für die Show ausgeliehen war.

Der Abend war einfach köstlich. Ein schönes Beispiel, wie man auch mit kleinem Budget und minimalem Aufwand den Leuten einen tollen Abend bereiten kann. TheodoBo, wir sehen uns bald wieder!

Markus Karger, Sylvia Oster und Gerd Ungermann sind TheodoBo

Aufwiedersehen, Chappo!

40 Jahre musste ich warten. Diese Stimme hat mich schon als Teenager fasziniert. Purer Rock’n Roll, Gänsehaut wann immer ich ihn hörte. Immer wieder mal hätte ich die Gelegenheit gehabt. Öfter war er im Lande. Aber immer kam irgendwas dazwischen oder das Konzert war ausverkauft. Nun war es endlich soweit: Roger Chapman – Chappo – bei uns umme Ecke! Im Eulenspiegel in Steinau-Seidenroth. Ein winziges Dörfchen. Aber mit einer tollen Musikkneipe, wie sie so manche Großstadt nicht zu bieten hat. Fünf Jahre Eulenspiegel wollten die Betreiber nun mit ihren Fans feiern und hatten sich einen der ganz Großen der Rockmusik eingeladen. Klar. dass ich sofort für die Liebste und mich Tickets reservierte.

Im Eulenspiegel kann man saulecker essen. So war es klar, dass wir frühzeitig kommen und uns erst mal stärken würden. Aber alle anderen Fans dachten wohl ebenso und so war die Kneippe schon um halbacht knalle voll. Immerhin konnten wir schon mal in den Saal und uns die besten Plätze sichern. Die Liebste sogar mit Sitzplätzchen direkt neben den Boxen seitlich der Bühne. Ich sicherte mir den Platz direkt vor Chappos Mikro und verteidigte ihn gut eineinhalb Stunden lang. An diesem Abend hatte ich Rücken. Aber sowas von Rücken!. Und der beschwerte sich heftig gegen diese Beine-in-den-Bauch-Steherei. Das ließ sich nur mit leckerem Schwarzbier und einer Brezel in der Hand ertragen.

Inzwischen bastelte ein Roady an den Aufbauten rum, verteilte die Setlist, stapelweise Handtücher und hektoliterweise Getränke. Unter Roady stelle ich mir immer einen jungen, gut gebauten, hippen Typen vor. Dieser hier war im Rentenalter. Mit Bauch und weißen, schütteren Haaren. Ein Blick aufs Publikum bestätigte meine Befürchtungen: Es würde ein Abend für die reifere Jugend werden. Nun ist man selber ja in Ehren ergraut und kein Adonis mehr. Aber man verdrängt es doch so lange, bis solche Veranstaltungen einem die Augen öffnen. Die Herren fast alle mit Bauch und wenig Haupthaar, die Damen allerdings durchweg attraktiv, trotz (oder gerade wegen der Falten).

Pünktlich um Neun kam Chappos Band The Shortlist auf die Bühne. Besser gesagt, sie krabbelten fast, sich gut irgendwo festhaltend, einer sogar kurz gestützt. Was hatte ich erwartet? Eine Boyband? Der Leadgitarrist wie aus dem Bilderbuch der Rockerlegenden: lange, grau-gelockte Mähne, aufgedunsenes Gesicht und mit Bauch, der Rhythmusgitarrero moppelig in knallengem T-Shirt, der Bassist spindeldürr und klapprig an die PA gelehnt. Der Drummer ausgezehrt mit wilder, weißer Zottelmähne. Lediglich der Keyboarder in jünger, aber mit total lustloser Miene (das ganze Konzert über). Kurz stellte ich mir die passenden Groupies vor … und schloss die Augen mit Grauen.

Und dann legten die los! Aber hallo! Augen zu: eine agile junge Truppe fetzt und rockt da los, als hätten sie diese Musik gerade erst erfunden! Augen auf: Chappo kraxelt auf die Bühne, hält sich nicht lange mit Geschwätz auf und ab geht die Luzie! Der Mann ist 69! Ich glaube es nicht! Nach drei Minuten ist er schweißgebadet, was ihn nicht abhält, seine gequetschte Rockröhre die Tonleiter rauf und runter zu jagen, zu jaulen und röhren wie ein ganzes liebestolles Tierorchester. Kein Unterschied zu der Stimme von vor 4o Jahren. Wie macht er das? Gut, man sieht ihm das Alter an und mit jeder Minute scheint er weniger zu werden. Aber nur optisch. Akustisch ist er präsent und dominiert Band und Saal.

Das ist meine Musik. Mein Rücken ist vergessen. Ich wiege mich in den Hüften, hüpfe im Takt, werfe die Arme, schnippe die Finger und headbange wie ein ein junger Rockergott in Wacken. Ab und zu ein Blick zur Liebsten. Es ist nicht ihre Musik. Aber es gefällt ihr sichtlich. Sie wippt mit und schüttelt ihr schönes rotes Köpfchen. Das Publikum geht ab wie Schmitts Katze. Alle sind jetzt höchstens 18 Jahre alt. Der zunehmende Sauerstoffmangel verstärkt die Trance. Alles andere ist jetzt egal. Jetzt ist Chappo and the Shortlist. Die Band spielt mit unglaublicher Freude auf, Chappo wird immer besser. Keine Frage: Es gefällt ihm in der Provinz. Und mein Bart scheint ihm ebenso zu gefallen. Er macht den Leadgitaristen auf mich aufmerksam, zwinkert mir immer wieder zu, zwirbelt sogar vor dem Song Prisoner einen imaginären Bart und grinst mich an. Vor der Zugabe verlasse ich meinen Platz und kämpfe mich zur Liebsten durch. Wenigstens die letzten Stücke will ich dicht bei ihr geniessen. Chappo bemerkt mein Fehlen sofort und fragt nach dem „guy with the beard“. Fast habe ich das Gefühl, er macht erst weiter, als er mich schließlich an der Seite bemerkt 😉

Jetzt noch eine Zugabe. Eine einzige nur. Schade. Aber irgendwie verständlich. Nach eineinhalb Stunden voller Power sind die Jungs alle. Ich eigentlich auch. „Shadow on the Wall“ mit integriertem „Shortlist“ und ganz zum Schluss noch die alte Stones-Nummer „Lets spend the Night together“. Genau, das wärs jetzt! Die ganze Nacht mit Chappo zusammen. Aber ich hab ja meine Liebste…

Angeblich war das die letzte Tour. Farewell Chappo? Nix da: Rock’n Roll never dies! Mensch, Chappo, wir beide brauchen das doch! Also dann, bis zum nächsten Mal …

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Mittwochabend-Eiszeit-Blues

Töchterlein war der Meinung, Weihnachten ohne Stoppok sei einfach kein Weihnachten. Und so hatte sie mich ins KFZ nach Marburg eingeladen. Im Prinzip ne gute Idee. Nur nicht in dieser eisigen Zeit. Wo doch alle verfügbaren Parkplätze völlig zugeschneit sind. Und das Parkhaus vor dem KFZ nur bis 20 Uhr auf hat. Ein einziges, fast schneefreies Plätzchen erblickte der Raabenvater und parkte blöderweise dicht an einer Kreuzung und auch noch auf einem Zebrastreifen. Und so kam, was kommen musste: Ein Sattelschlepper hatte sich in die Marburger enge Innenstadt verirrt und kam nun nicht mehr um die Ecke, weil da ein kleiner, schwarzer Peugeot parkte! Der Fahrer rief die Polizei und diese ermittelte den Halter und rief bei ihm zuhause an, wo die Liebste sowieso schon um ihre verrückten Vögel wegen der Blitzeisgefahr bangte. Man kann sich den Schreck vorstellen, als sich der nette Polizist mit ”Polizei Marburg“ meldete! Sie gab den freundlichen Ordnungshütern den Tipp und die informierten die KFZ-Leute, die ihrerseits wieder Stoppok informierten. Und der mich.

„Hey Stoppok, das war ja mal wieder ein grandioser Gig, den ihr Zwei da gestern im KFZ hingelegt habt. Wie man nach so einer langen Tour noch so gut drauf sein kann, das ist schon fast unverschämt! Nur eines nehm‘ ich dir persönlich übel: Nachdem du mich so lieb darüber informiert hast, dass mein Auto gerade abgeschleppt wird, hast du nicht auf mich gewartet. Hatte dich doch extra drum gebeten. Und auf Reggie haste doch auch gewartet, als dem eine Saite gerissen war. Na ja, Schwamm drüber. Is ja Weihnachten. Feiert schön (aber immer schön Villeroy & Boch im Auge behalten, gelle)!“

So war denn der Abend rundum gelungen. Zweieinhalb ehrliche Bluesstunden, ein bisschen Nervenkitzel mit Spurt zum Auto, reichlich Regen. Was kann es schöneres vor dem Fest geben? Danke, Masja für die tolle Einladung, danke, Stoppok und Worthy für Eure geile Mucke und danke, liebste Froschkönigin für deine unendliche Geduld mit Deinem schräg-lichen Vogel!

Zauberhafter Abend

Lange war nicht klar, ob wir die Bahn würden bemühen müssen, uns nach Fulda direkt vor die Esperanto-Halle zu bringen. Schließlich waren erneute Schneefälle und Glatteis angesagt. Aber der Tag hatte wunderschön begonnen. Gleißende Sonne, klirrend kalte Luft, trockene Straßen. Beste Voraussetzungen der teuren Bahn zu entgehen. Nur geparkt haben wir auf einem ihrer Parkplätze, kostenlos natürlich ;-).

Hans Klok, der holländische Magier, war mit seiner Weihnachtsshow in Fulda. Meine Liebste hatte mir den Abend zu unserem Fünfjährigen geschenkt. Obwohl wir fast eine Stunde zu früh kamen, war das Foyer schon proppevoll. Die meisten hatten wohl Schneechaos eingeplant. Also flanierten wir durch die Massen. Wir beiden sind ja nun mal zwei richtige Augensterne, die Liebste mit ihrem feuerroten Köpfchen, den strahlenden Augen und den witzigen Schneemann-Ohrhängern und ihr bebarteter Bodyguard. Wir werden ungeniert betrachtet. Nichts ist schöner als zurück zu gaffen. Und über Leute zu lästern. So fängt der Abend gut an.

Die besten Plätze waren schon vergeben, trotzdem war die Bühne nicht allzu weit entfernt für Hans Kloks furiose Magic-Show. Der Meister begrüßt das Publikum, das er in zwei Kategorien aufteilt: diejenigen, die fasziniert die Show betrachten wollen (offenbar die Minderheit, dem Klatschen nach zu urteilen) und dem Rest, der nur wissen will, wie er das macht. Frenetischer Beifall scheint ihm Recht zu geben. „The fastest Magician ever“ nennt er sich und er macht diesem Namen alle Ehre: Die Effekte und Tricks kommen fast im Sekundentakt, unterstützt durch wirbelnde Tänzerinnen. Die Tricks sind zwar fast immer die gleichen: Er lässt seine sexy Assistentinnen schweben, irgendwie verschwinden, zersägt oder durchsticht sie und wechselt mit ihnen seinen Platz. Das alles hat man schon hundert Mal gesehen. Aber nirgendwo so spektakulär wie bei Hans Klok. Dazwischen poetische Reminiszenzen an längst verstorbene Groß-Magier wie den großen Houdini z.B.. Und einen sehr komischen Pausenclown-Magier. Zweieinhalb unterhaltsame Stunden grandioser Magie.

Nun sollte planmäßig ein indisches Mahl den Abend beschließen. Es war aber schon viertel vor elf und vermutlich hatte das von der Liebsten ausgesuchte Lokal schon geschlossen. Bevor wir uns einem Fastfood ergeben hätten, wollten wir aber unser Glück versuchen und fuhren zum Phulkari in der Kurfürstenstraße 2. Noch war es erleuchtet, aber kein Gast mehr zu sehen. Auch an der Theke kein Mensch. Dafür Tellergeklapper aus der Küche. Wir machten uns bemerkbar und fragten den erscheinenden Chef, ob denn schon geschlossen sei. Ja, sagte der, eigentlich machten sie um 23 Uhr zu aber wir könnten gerne noch was bekommen. Die Küche war so offensichtlich mit Aufräumen beschäftigt, dass wir zunächst dankend ablehnten und uns zu Gehen wanden. Aber Gurinder Singh ließ jetzt nicht locker: Wir würden überhaupt keine Umstände machen. Auf unsere Frage, was denn noch zu Essen zu bekommen sei, strahlte er uns an: Was immer wir haben wollten, er würde es uns machen. Wir nahmen Platz, noch etwas unsicher, denn mit einer so freundlichen Reaktion hatten wir nicht gerechnet. In einem deutschen Lokal wären wir wahrscheinlich mit einem unwirschen Blick auf die Uhr schon längst hinaus befördert worden. Herr Singh zündete uns eine Kerze an und entschuldigte sich noch, dass er im restlichen Lokal schon mal das Licht ausmachen würde. Das solle auf gar keinen Fall eine Aufforderung sein, uns zu beeilen.

Was wir natürlich trotzdem taten. Schnell war aus der reichhaltigen Karte was Leckeres gewählt und es dauerte nicht lange, bis ein frischer Salat vor uns stand. Mit einem köstlichen Joghurt-Dressing, das uns geschmacklich schon mal auf Indien einstimmte. Dazu ein würziges indisches Bier. Dann kam eine riesige Platte mit duftendem Basmati, zartem Nan-Brot und zwei Schalen mit unseren Gerichten, einem Schweinefleisch-Vindaloo mit Ingwer und Safran und einem Lamm-Chili. Herr Sing hatte uns vorsichtshalber vorher gefragt, ob es denn auch richtig scharf sein dürfe. Bei mir durfte es das natürlich. Und es war einfach köstlich! So saßen wir beiden Verliebten bei einem außergewöhnlich guten, exklusiven, späten Candellight-Dinner, ließen die Show Revue passieren, die Curries uns die Zungen verwöhnen, den Bauch wärmen und die Magie war in uns. Der Koch bekam ein extra Trinkgeld, was ihn sichtlich freute, und der Patron noch einmal unseren Dank für diesen freundlichen Empfang und die tolle Bewirtung. Danke Hans, danke Gurinder, danke meine Liebste für diesen zauberhaften Abend!

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